Materialsammlung: Überwachungsgesamtrechnung

Unterstützen Sie unsere Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung!

Inhalt


Überwachungsgesamtrechnung

Im Jahr 2010 urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), eine Vorratsdatenspeicherung sei „mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar“. Voraussetzung sei es jedoch, dass sie legitimen Zwecken diene und in ihrer Ausgestaltung „dem besonderen Gewicht des hierin liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung trägt“ (BVerfG, NJW 2010, 833 Rdnrn. 205f., 213).

Die Notwendigkeit, alle staatlichen Überwachungsmöglichkeiten auf ein Maß zu beschränken, bei dem die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert wird, zählt sogar zur‚ europarechtsfesten‚ verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland‘. (Rossnagel, NJW 2010, Heft 18)

In seinem Grundsatzurteil von 1983 begründete das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung mit der Gefahr einer Selbstzensur, die ausgelöst wird durch die Verunsicherung, welche Daten erfasst würden – dem sogenannten Chilling Effect. Die Menschen dürften sich nicht totalüberwacht fühlen, denn: „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.“[^1]

Wir setzen uns für Ihre Privatsphäre und Grundrechte ein. Werden Sie Fördermitglied bei Digitalcourage.

Aus dem Urteil von 2010, das die Vorratsdatenspeicherung kippte, erwuchs der Begriff der „Überwachungsgesamtrechnung“[^2], der einer Weisung des Bundesverfassungsgerichtes einen Namen gibt: Alle staatlichen Maßnahmen zur Überwachung dürfen nicht ausschließlich einzeln für sich bewertet werden, sondern müssen unbedingt in ihrer Gesamtsumme betrachtet werden. Denn in ihrer Summe dürfen sie nicht das für eine Demokratie erträgliche Maß an Überwachung überschreiten.

Das heißt im Klartext: Für sich gesehen könnte eine Vorratsdatenspeicherung bei richtiger Umsetzung verfassungsgemäß sein. Das gilt allerdings nur dann, wenn es nicht bereits zu viele andere Überwachungsmaßnahmen gibt, die in ihrer Gesamtheit das Gefühl der ständigen Überwachung auslösen. Lesen Sie hierzu gern auch unseren Blogbeitrag „Überwachungsgesamtrechnung“ (2014).

Da nach dem Urteil des BVerfG (2010) durch die Enthüllungen von Edward Snowden (ab 2013) deutlich wurde, dass die tatsächliche Überwachungssituation weitaus umfangreicher ist als bis dahin angenommen, und da seit 2010 weitere Überwachungsgesetze erlassen wurden, handelt es sich – nach unserer Auffassung – bei der beschlossenen Vorratsdatenspeicherung um einen additiven Grundrechtseingriff[^3].


Weitere Informationen zum Chilling Effect

Unterstützen Sie unsere Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung!


Überwachungsmaßnahmen durch den Staat

Konkret wird es schwierig, eine Überwachungsgesamtrechnung tatsächlich durchzuführen. Eine reine Auflistung der staatlichen Überwachungsmaßnahmen und Schutzversagen muss zunächst ausreichen. Auch hier erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sollte Ihnen auffallen, dass ein wichtiger Punkt fehlt, freuen wir uns über einen Hinweis.

Einige Überwachungsmaßnahmen mögen einzeln betrachtet gerechtfertigt erscheinen und einem nützlichen Zweck dienen. In ihrer Summe sind aber auch sie ein Teil der stetig zunehmenden staatlichen Überwachung. Um das für eine Demokratie verträgliche Maß nicht zu überschreiten, muss der Gesetzgeber Prioritäten setzen.

Neue staatliche Überwachungsmaßnahmen (Bund) seit 2010:

Erläuterungen zu den Gesetzen (PDF)

  • Gesetz zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige (12. April 2011)
  • Gesetz zur Verbesserung des Austauschs von strafregisterrechtlichen Daten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und zur Änderung registerrechtlicher Vorschriften (15. Dezember 2011)
  • Gesetz zur Errichtung eines Nationalen Waffenregisters (25. Juni 2012)
  • Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus (20. August 2012)
  • Gesetz zur Änderung des AZR-Gesetzes (20. Dezember 2012)
  • Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen (20. Dezember 2012)
  • Gesetz zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren (21. März 2013)
  • Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens (3. Mai 2013)
  • Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom (17. Juni 2013)
  • Gesetz zur Errichtung einer Schiffsunfalldatenbank und zur Änderung des Seefischereigesetzes (7. August 2013)
  • Gesetz zur Anpassung des Luftverkehrsrechts (7. August 2013)
  • Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (28. August 2013)
  • Viertes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (28. August 2013)
  • Gesetz zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern (14. Oktober 2013)
  • Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, der Gewerbeordnung und des Bundeszentralregistergesetzes (28. November 2014)
  • Gesetz zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (21. Januar 2015)
  • Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (8. Juni 2015)
  • Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (20. Oktober 2015)
  • Steueränderungsgesetz 2015 (2. November 2015)
  • Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (10. Dezember 2015)
  • Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport (10. Dezember 2015)
  • Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 21. Dezember 2015
  • Gesetz zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken (2. Februar 2016)
  • Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts (17. Februar 2016)
  • Gesetz zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes (2. März 2016)
  • Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (11. März 2016)
  • Anti-Terror-Paket (24. Juni 2016)
  • Vorratsdatenspeicherung (beschlossen, noch nicht angewendet)
  • Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (21. Oktober 2016)
  • Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes – „BND-Gesetz“, Plenarsitzung ansehen (4. November 2016)
  • Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) (24. Februar 2017)
  • Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) wird ins Leben gerufen (März 2017)
  • Gesetz über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) (13. März 2017)
  • Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern (20. März 2017)
  • Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (30. März 2017)
  • "Kommando Cyber- und Informationsraum" (KdoCIR) in Dienst gestellt (05. April 2017)
  • Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes - Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz) (28. April 2017)
  • Gesetz zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik (05. Mai 2017)
  • Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Wohnungseinbruchdiebstahl (16. Mai 2017)
  • Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (17. Mai 2017)
  • Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes (01. Juni 2017)

Weitere Informationen zu staatlicher Überwachung auf Bundesebene

Neue staatliche Überwachungsmaßnahmen der Bundesländer seit 2010 (unvollständig):

In dieser Liste fehlt eine staatliche Überwachungsmaßnahme? Bitte schreiben Sie uns eine E-Mail.


Online-Durchsuchung

Das Bundeskriminalamt kann mit Hilfe staatlicher Schadsoftware (einem sogenannten „Staatstrojaner“) Online-Durchsuchungen durchführen sowie Internettelefonie (beispielsweise über Skype oder andere Messenger-Dienste) abhören. Es fehlt jedoch die Rechtsgrundlage für den Einsatz eines Staatstrojaners für diese Form der Quellen-TKÜ zur Strafverfolgung. Eine Anwendung darf genau genommen nur präventiv zur Gefahrenabwehr erfolgen. Dies bestätigte der Generalbundesanwalt gegenüber Netzpolitik.org nach einer Anfrage im Januar 2016. Die Bundesregierung schließt sich seiner Aussage jedoch nicht an.

Weitere Informationen zur Online-Durchsuchung

Digitalcourage-Newsletter abonnieren und ständig auf dem Laufenden bleiben.


Telekommunikationsdaten

Telekommunikationsanbieter erfassen bereits vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung eindeutige Geräteidentifikationen ihrer Kundinnen und Kunden, Verkehrsdaten sowie Standortdaten. Folglich wird erfasst, wer wo mit wem wie lange über Festnetz, Handy oder Smartphone telefoniert sowie SMS versendet und empfangen hat. Ermittlungsbehörden können diese Informationen mittels Funkzellenabfragen in Erfahrung bringen. Die Anzahl der Funkzellenabfragen steigt stetig. Darüber hinaus ist es inakzeptabel, dass aufgrund eines technischen Problems bei SMS nicht nur die Verbindungsdaten, sondern auch die Inhalte der Nachrichten gespeichert werden.

Die Zahlen für September und Oktober 2015 zeigen, dass die Funkzellenabfrage unverhältnismäßig und entgegen geltender Beschlüsse des Abgeordnetenhauses eingesetzt worden ist. So waren [in Berlin] allein durch eine Maßnahme im Postleitzahlenbereich 12 über 1,4 Millionen Mobilfunkanschlüsse betroffen.“ (Christopher Lauer)

Von Funkzellenabfragen sind täglich zehntausende Menschen betroffen. Die Polizei verfügt in der Folge über alle in den Zellen angefallenen Kommunikationsdaten. Laut Gesetz müssen die Betroffenen darüber informiert werden:

Von den […] genannten Maßnahmen sind […] die Beteiligten der betroffenen Telekommunikation […] zu benachrichtigen. (§101 StPO)

Praktisch erfolgen solche Benachrichtigungen jedoch nur äußerst selten (siehe netzpolitik.org). Denn:

die Benachrichtigung einer […] Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, [kann] unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. (§101 StPO)

Demnach entscheidet der zuständige Staatsanwalt, ob es in Ihrem Interesse liegt, über eine Überwachung Ihrer Kommunikation informiert zu werden. Die Piratenfraktion kämpft im Landtag Berlin für eine Umsetzung eines Pilotprojekts zur Information der Bürger.innen per SMS. Obwohl ein solches Informationssystem bereits seit dem 27. November 2014 vom Abgeordnetenhaus beschlossen ist (Beschluss Nr. 2014/56/16 A, vgl. Drs. 17/1975), wurde es bisher nicht umgesetzt.

Das Telekommunikationsgesetz beinhaltet außerdem das staatliche Instrument der Bestandsdatenauskunft, die sowohl manuell als auch automatisch erfolgen kann. Trotz einer Entschärfung[^4] im Jahr 2013 gilt bei der Erfassung: Die Polizei sowie Geheimdienste dürfen persönliche Informationen von Mobiltelefonbesitzern und Internetnutzern abrufen, und zwar automatisiert und ohne größere rechtliche Hürden.

Weitere Informationen zur Funkzellenabfrage

Weitere Informationen zur Bestandsdatenauskunft


Überwachung von Postsendungen

Von einer verdachtsunabhängigen Speicherung der Adressdaten sind auch alle Sendungen der Deutschen Post betroffen. Die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden soll sich angeblich nur auf Sendungen in die USA beschränken. Mit Hilfe der massenhaften Datenüberwachung will man beispielsweise die Zollabfertigung vereinfachen, so heißt es. In Deutschland werde zwar jede Adresse abfotografiert, aber nur für interne Zwecke wie den korrekten Briefversand, teilte die Deutsche Post mit. Unbefriedigenderweise ist nicht bekannt, wie lange eine Speicherung der Adressen erfolgt.

Weitere Informationen zur Überwachung von Postsendungen


Finanzdaten

Mithilfe von Metadaten, welche auch aus Finanzdaten gewonnen werden, können Beziehungsgeflechte unter Personen, Organisationen oder Ereignissen nachvollzogen werden. Durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit haben Finanzbehörden und bestimmte andere Behörden die Möglichkeit, Bestandsdaten zu Konto- und Depotverbindungen bei den Kreditinstituten über das Bundeszentralamt für Steuern abzurufen. Eine übergreifende Politik für Finanzkriminalität und Finanzermittlungen wird seitens der Europäischen Kommission und Europol bereits seit mehreren Jahren forciert. Das Ausmaß der Kontenabfragen nimmt konstant zu. Im Jahr 2010 gab es bundesweit 105.615 Abfragen; im Jahr 2014 waren es bereits 131.753.

Ursache ist insbesondere die deutlich gestiegene Zahl der Auskunftsersuchen von Polizeibehörden. (BaFin)

Weitere Informationen zu Kontenabrufverfahren

Digitalcourage wirkt. Wirken Sie mit!


Finanzermittlungen länderübergreifend

Inzwischen sind alle „Financial Intelligence Units“ der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union miteinander verbunden; auf diesem Wege ermöglicht Europol eine europaweite und unverzügliche Verfolgung auffälliger Transaktionen. Um ausreichend Kapazitäten für die Speicherung zur Verfügung zu haben, sind Finanzämter, Polizei und Zollbehörden der EU-Mitgliedsstaaten dazu angehalten, ihre Daten an Europol und Eurojust weiterzureichen. Hierdurch könnten wiederum in Deutschland nicht zulässige Analyseverfahren auf die betreffenden Daten durch Europol angewandt werden. Europol hat eine Software für das Data Mining programmiert, die in Fachkreisen auch „Al-Capone-Methode“ genannt wird. Mit dieser inzwischen computergestützten Analyse werden nicht nur Finanzströmungen abgeglichen; es handelt sich um eine europaweite Rasterfahndung in den jeweils vorhandenen Vorratsdaten. Kritisch ist vorallem, dass die Datenschutzrichtlinien einzelner Staaten über- beziehungsweise umgangen werden.

Es ist unklar, ob aus Deutschland bei Europol oder dem FIU.net angelieferte Daten ebenfalls per „Ma³tch“-Technologie[^5] analysiert werden dürfen. Deutschland ist laut eigenen Angaben „zweitstärkster Nutzer" von Europols Informationssystemen. (Kleine Anfrage des Abgeordneten Andrej Hunko u. a. und der Fraktion DIE LINKE. Einführung der "Ma³tch-Technolologie" bei Europol und beim Bundeskriminalamt BT-Drucksache 18/6005)

Zugriff auf die Daten aller Finanztransaktion der europäischen Bürgerinnen und Bürger erhielten auch die USA, nachdem sie ein Abkommen mit der Europäischen Union aushandelten. Das sogenannte SWIFT-Abkommen (seit 01. August 2010 in Kraft) ermöglicht den US-amerikanischen Behörden nun (nach Genehmigung durch EUROPOL) einen ungehinderten Zugriff auf die Daten der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT), die den europäischen Zahlungsverkehr überwacht. Darüber hinaus legitimiert das Abkommen eine anschließende Speicherung (bis zu 5 Jahren) sowie die Weitergabe der Daten.

Weitere Informationen zu Finanzermittlungen länderübergreifend

Unterstützen Sie unsere Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung!


Wohnraumüberwachung

Die akustische Wohnraumüberwachung wurde durch das Einfügen der Absätze 3 und 6 des Artikel 13 Grundgesetz im Jahr 1998 ermöglicht. Im Jahr 2004 erklärte das Bundesverfassungsgericht den „Großen Lauschangriff“ für teilweise verfassungswidrig, woraufhin eine Gesetzesanpassung im Jahr 2005 folgte. Das Gesetz enthält jedoch kein absolutes Überwachungsverbot für Gespräche im privaten Bereich; es regelt lediglich allgemeine Eingriffsbefugnisse und nennt die Bedingungen, wann abgehört werden darf. Aber auch vergleichsweise „kleine Andwendungen“ wie Smart Meter gehören zum Bereich der Wohnraumüberwachung. Sie können häufiger und vor allem in kürzeren Intervallen als herkömmliche Zähler Daten zum Energieverbrauch abfragen und aufzeichnen. Die Verbrauchsdaten lassen viele Rückschlüsse auf den Tages- und sogar den Lebensablauf des Kunden zu. Bei einer sehr feinen Abfrage dieser Daten können Verbrauchsprofile und Analysen des Verhaltens von Kund.innen in den eigenen vier Wänden erstellt werden, die auf vielfache Weise missbraucht werden können. Ferner sind moderne Rauchmelder in der Lage mittels Funk und Ultraschall ihr Umfeld zu überwachen, sogar Gespräche aufzuzeichnen. Eine gesetzlich verpflichtende Installation von Rauchmeldern ist aus diesem Grund äußerst kritisch.

Weitere Informationen zur Wohnraumüberwachung


Videoüberwachung

Über 500.000 Kameras überwachen in Deutschland die Umgebung – neben der Quantität steigt auch die Qualität der Überwachungsaufnahmen. (Allerdings ist immer weniger Kameras anzusehen, in welche Richtung sie ausgerichtet sind und mit welcher Auflösung sie filmen.) Besonders erschreckend: Ein Großteil der Installationen im öffentlichen Raum verstößt gegen geltende Datenschutzbestimmungen. So wurde beispielsweise in Niedersachen im Jahr 2010 festgestellt, dass zu diesem Zeitpunkt nur 23 von 3345 Kameras korrekt angebracht und betrieben wurden.

Mal fehlten Hinweisschilder auf die Videoüberwachung, mal wurde das aufgezeichnete Material über Monate nicht gelöscht, dann wieder wurde ohne Scheu in Wohnungen, Arztpraxen oder Anwaltsbüros hineingefilmt – technisch so hochwertig, dass die abgelichteten Personen und ihre Handlungen detailliert erkennbar waren. (taz.de)

Quellen zur Videoüberwachung


Reisedaten

Bereits im Anti-Terror-Gesetz war eine schärfere Überwachung des Flugverkehrs beschlossen worden – Dann verabschiedete das EU-Parlament am 14. April 2016 eine neue EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von Passagierdaten (passenger name records, kurz: PNR). In Zukunft sind alle Mitgliedsstaaten der EU dazu verpflichtet, Fluggastdaten und Schiffspassagierlisten von allen Reisen aus der EU und in die EU zu speichern. Pro Fahrgast fallen bis zu 60 Daten an, die jeweils fünf Jahre zentral gespeichert werden.

Quellen zu PNR


Krankendaten

Gesundheitsdaten sind sehr sensibel. Darum muss das, was gespeichert werden muss, zwingend besonders gut geschützt werden. Auch Abwesenheits- und Fehlzeiten von Mitarbeitenden werden durch Arbeitgeber gespeichert. Jedoch dürfen Arbeitgeber insbesondere die krankheitsbedingten Fehlzeiten nur so lange speichern, wie sie für arbeitsrechtliche Maßnahmen, beispielsweise eine Abrechnung, erforderlich sind. Mit Hilfe des E-Health-Gesetzes wird der Ausbau der Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte gefördert. Bis Ende 2018 sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Daten der Patienten aus bereits vorhandenen Anwendungen und Dokumentationen (beispielsweise Notfalldaten oder Medikationspläne) in einer solchen elektronischen Patientenakte bereitgestellt werden. Durch die elektronische Gesundheitskarte wird nicht nur eine horrende Geldsumme aus dem Gesundheitssektor hin zu Herstellern technischer Systeme verschoben, auch das Gefühl der Bürger.innen, gläsern zu werden, nimmt immens zu.

Quellen zu Krankendaten


Kommerzielle Überwachung

Ebenfalls relevant für das Gefühl der permanenten Überwachung sind Datensammlungen von privaten Anbietern. Hierbei handelt es sich zwar nicht um staatliche Überwachung, doch in dem Wissen, dass Geheimdienste auf diese Datenbestände zugreifen, spielt diese Unterscheidung eine immer kleinere Rolle. Außerdem steht der Staat in der Verantwortung, hier klare Rahmenbedingungen zu stecken und deren Umsetzung zu kontrollieren. Die fehlende klare Positionierung an dieser Stelle mehrt das Unbehagen und Misstrauen gegenüber dem staatlichen Schutz.

Quellen zu Privater Überwachung


Geheimdienste

Deutschland betreibt Geheimdienste und handelt mit Daten. Vorwürfe, dass dabei auch Daten von Deutschen verbreitet wurden, konnten nicht entkräftet werden. Darüber hinaus ist die Unwilligkeit der Bundesregierung, die Menschen vor Übergriffen durch fremde Geheimdienste zu schützen, derzeit an vielen Stellen zu bewundern: Durch den Umgang mit der Selektoren-Liste, Beschwichtigungen und nicht zuletzt durch schallende Nichtaussagen im NSA-Untersuchungsausschuss wird immer klarer: Die Bundesregierung hat kein Interesse daran, unsere Daten (und damit unser Persönlichkeitsrecht) vor den Geheimdiensten zu schützen. Dafür erhielt das Kanzlerinnenamt 2014 einen BigBrotherAward. Auch die ausbleibende Verteidigung unserer Grundrechte muss in die Überwachungsgesamtrechnung einbezogen werden. Denn sie vermittelt ein klares Bild davon, wie viel Vertrauen an dieser Stelle angemessen ist: keins.

Quellen zu Geheimdiensten

Wichtige Eckpunkte zum NSA-Skandal:

  • Der britische Guardian und die amerikanische Washington Post veröffentlichten im Juni 2013 geheime Dokumente, die sie vom früheren NSA-Mitarbeiter Edward Snowden erhalten hatten.
  • Die von Snowden kopierten und von Journalist.innen seit 2013 nach und nach veröffentlichten Dokumente enthüllen ein weltweites Netz von Spionagesystemen: Metadaten aus Telefongesprächen und E-Mail-Verkehr, Daten von Smartphone-Apps wie Google Maps, TEMPORA (alles, was über die transatlantischen Glasfaserkabel in die USA geschickt wird), PRISM (Google, YouTube, AOL, Apple, Microsoft, Skype, Yahoo, Facebook und PalTalk geben Nutzerdaten heraus), der BND gab Daten an die NSA weiter, große Teile des internationalen Zahlungsverkehrs, MINIATURE HERO (Echtzeit-Überwachung von Skype-Gesprächen), TREASURE MAP (ein gemeinsames Programm von NSA und GCHQ, um das gesamte Internet zu kartografieren), und vieles mehr.
  • Edward Snowden bat im Juni 2013 in mehr als 20 Ländern um Asyl. Auch in Deutschland, wo es abgelehnt wurde.
  • Am 1. August 2014 erhielt Edward Snowden in Russland – wo er sich bereits seit dem Sommer 2013 aufhielt – ein Aufenthaltsrecht für drei Jahre.
  • Bis ins Jahr 2014 hinein überschlägt sich die Berichterstattungüber den NSA-Skandal in den Medien. Seitens der US-amerikanischen sowie deutschen Regierung erfolgen Dementi, Eingeständnisse und zuletzt Verteidigungen.
  • Citizenfour, der Film von Laura Poitras über Edward Snowden und die durch ihn aufgedeckte globale Überwachungs- und Spionageaffäre, erhielt 2015 einen Oscar in der Kategorie Dokumentarfilm
  • Zuletzt wurde im Januar 2016 bekannt (The Intercept berichtete), wie sich NSA und GCHQ in Israels Drohnen und Kampfflugzeuge gehackt haben, um unter anderem Militäroperationen in Gaza zu beobachten. Codename des geheimen Programms: Anarchist. Auch diese Information geht auf Edward Snowden zurück.

Weitere NSA-Programme, deren Codenamen und Funktionen finden Sie (unter anderem) auf zeit.de oder electrospaces.net
Eine ausführliche Zeitleiste der Ereignisse gibt es auf heise.de

2014 verlieh Digitalcourage den „Julia und Winston Award“ an Edward Snowden für seinen Dienst an der Menschheit. Der Preis war mit 1.000.000 Aufklebern dotiert, auf denen Asyl für Snowden gefordert wird.


Meldedaten

Mit dem 19. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wird ein erneuter bundesweiter Abgleich von Meldedaten beschlossen:

„(9a) Zur Sicherstellung der Aktualität des Datenbestandes wird zum 1. Januar 2018 ein weiterer Abgleich entsprechend Absatz 9 durchgeführt. Die Meldebehörden übermitteln die Daten bis längstens 31. Dezember 2018.

Mehr Informationen zum Rundfunkbeitragsstaatsvertrag bei dieDatenschützer Rhein Main


Überwachungsgesetzespakete / staatliche Datensammlungen

Es existieren ganze Gesetzespakete, die in einer Form zusammengeschnürt wurden, dass sie – auf einen Schlag – die Überwachung diverser Lebensbereiche ermöglichen oder ausbauen. Das Anti-Terror-Gesetz (Terrorismusbekämpfungsgesetz, Sicherheitspaket II, Luftsicherheitsgesetz) beispielsweise hat Auswirkungen auf die Datenerhebung im Luftverkehr, bedingte biometrische Personalausweise, unterstützte die Einführung einer Antiterrordatei und führte zur Ausweitung der Befugnisse verschiedener Sicherheitsbehörden.

Weitere Gesetzespakete


Weitergabe der Daten von Sozialleistungsempfängern


Updates:
18. August 2016:
- Unter "Neue staatliche Überwachungsmaßnahmen (Bund) seit 2010" BND-Gesetz, Anti-Terror-Paket und VDS hinzugefügt
- Ergänzungen bei den Punkten "Neue staatliche Überwachungsmaßnahmen der Bundesländer seit 2010" und "Meldedaten"
- Menüpunkt "Weitergabe der Daten Sozialleistungsempfängern" hinzugefügt