ePrivacy: Surfen, chatten und telefonieren wir ab 2018 vertraulicher?

[Artikel nach Abstimmung im EU-Parlament am 26.10.2017 aktualisiert]

Die ePrivacy-Verordnung wird zukünftig in allen EU-Ländern regeln, wie tief Unternehmen in die Privatsphäre bei der Kommunikation eingreifen können. Es geht um WLAN-Tracking, Coockie-Walls, Datenschutzeinstellungen in Software, Werbe-Tracking und Standards für den Schutz der Privatsphäre und die Sicherheit bei SMS, Telefon, WhatsApp und Video-Chats.

EU-Parlament verteidigt Recht auf Privatsphäre gegen Datenindustrie

318 Abgeordneten des EU-Parlaments haben am Donnerstag, 26. Oktober 2017 dem Entwurf des Innenausschuss des EU-Parlaments (LIBE) für die ePrivacy-Verordnung zugestimmt. 280 Abgeordnete stimmten dagegen und 20 haben sich enthalten. Nach dieser Abstimmung werden Verhandlungen mit dem Rat der EU folgen.

„Nach zähem Lobby-Kampf haben heute im EU-Parlament die entscheidenden Argumente gesiegt“, sagt Friedemann Ebelt, Campaigner bei Digitalcourage. „Der Werbe- und Trackingindustrie ist es nicht gelungen, den Abgeordneten einzureden, dass das Grundrecht auf Privatsphäre weniger wichtig sei als die Interessen der Daten-Industrie.“

Am 19. Oktober 2017 hatte sich der Innenausschuss des EU-Parlaments (LIBE) auf einen Entwurf für eine ePrivacy-Verordnung geeinigt. Der beschlossene Text enthält einige Kompromisse zwischen den Positionen von Datenschützern und der datenverarbeitenden Industrie. Dennoch verteidigt er die Privatsphäre von allen Bürgerinnen und Bürgern in der EU besser als bisherige Regeln. Konservative und Werbeindustrie sahen ihre Interessen nicht erfüllt und ließen den Entwurf heute im Plenum des EU-Parlaments erneut abstimmen. Als nächster Schitt wird der Entwurf in Dreiergesprächen zwischen Parlament, EU-Kommission und EU-Rat verhandelt werden.

„Konservative und Industrieverbände werden weiterhin jede Gelegenheit suchen, um das Recht auf Privatsphäre durch Lobbyarbeit im Rat und in der Kommission abzuschwächen“, sagt Friedemann Ebelt.

Pressemitteilung vom 26.10.2017 lesen

Werbung gegen Grundrechte

Die Werbe- und Tracking-Industrie will möglichst rund um die Uhr Daten von allen unseren Geräten sammeln, auswerten und für personalisierte Werbung, Verträge, Inhalte, Versicherungen und Angebote nutzen. Um das durchzusetzen belagern ihre Lobbyisten die Abgeordneten im EU-Parlament, die Beamten in der EU-Kommission und die Politiker.innen im Rat der EU. Ihr Argument: Die Interessen der Werbe- und Tracking-Industrie stehen über dem Grundrecht auf Privatsphäre von mehr als 511 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in der EU. Dreist untergraben sie das Gemeinwohl. Ein beliebtes Verdreh-Argument der Überwachungsindustrie lautet: „Finanzierung freier Presse in Gefahr”. Werbeverbände sehen sich als Garanten für das hohe Gut des Journalismus. Das ist lächerlich, denn Qualitätsjournalismus und Werbung haben, gelinde gesagt, konkurrierende Interessen. Werben ist auch mit starkem Datenschutz möglich, also ohne Tracking, Personalisierung und kommerzieller Überwachung. Gegen die Scheinargumente der Trackingindustrie stellen sich einige Abgeordnete des Parlaments und der Kommission. Seit Jahren streiten und argumentieren Jan Philipp Albrecht (Grüne), Cornelia Ernst (DIE LINKE) und andere für einen soliden Schutz des Privatlebens.

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511 Millionen Privatsphären von EU-Bürger.innen sind unvergleichbar wichtiger als die Interessen der Werbe- und Tracking-Industrie!
Mem von D3 Direitos Digitais, Tweet teilen

Grundrechte erfolgreich verteidigt

Am 19. Oktober 2017 stimmte der Innenausschuss des EU-Parlaments (LIBE) über die ePrivacy-Verordnung ab. Die Abgeordneten der Grünen und DIE LINKE zeigten sich sehr zufrieden mit den erkämpften Kompromissen:

Cornelia Ernst, Abgeordnete im EU-Parlament für DIE LINKE sagt: „Besonders wichtig ist, dass es verboten bleiben soll, die Endgeräte der Verbraucher auszuschnüffeln, oder sie ungefragt durch Wi-Fi-tracking zu verfolgen, egal ob in Einkaufszentren oder Bahnhöfen. Sogenannte cookie- oder tracking-walls, die den Zugang zu einer Webseite versperren, wenn man dem Missbrauch der eigenen Daten nicht zustimmt, sollen ausdrücklich verboten werden.“ (Pressemitteilung vom 19. Oktober 2017)

Jan Philipp Albrecht, Abgeordneter im EU-Parlament für die Grünen sagt: „Internetunternehmen und Kommunikationsanbieter sollen die Daten der Nutzer weiterhin grundsätzlich nur mit deren Zustimmung nutzen können. Ausnahmen gelten nur für statistische Messungen des Nutzerverhaltens und für die Gewährleistung von IT-Sicherheit durch die Kommunikationsanbieter. Nutzer müssen darauf vertrauen können, dass ihr Surf- und Kommunikationsverhalten nicht ausgewertet oder weitergegeben wird. (…) Einige Konservative haben sich trotz weitgehender Zugeständnisse einem Kompromiss verweigert, stellen die Profitinteressen großer Internetkonzerne und die kurzsichtigen Deregulierungsfantasien einiger Industrieverbände über die Grundrechte auf Datenschutz, Privatsphäre und Kommunikationsgeheimnis und wollen den Datenschutz in der Kommunikation massiv schwächen.“ (Pressemitteilung vom 19. Oktober 2017)

Birgit Sippel, Abgeordnete im EU-Parlament für die SPD und neue Berichterstatterin für die ePrivacy-Verordnung: „Bei Online-Kommunikation und -Verhalten geht es um den Kern der Privatsphäre. Sie ist in der EU-Grundrechtecharta zurecht speziell über den reinen Datenschutz hinaus geschützt. Vertraulichkeit der Kommunikation – online wie offline – ist Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Online-Aktivitäten müssen vor dem unrechtmäßigen Zugriff durch Unternehmen oder auch staatliche Stellen geschützt werden. (…) Der jetzt vorliegende Text ist ein guter Ausgangspunkt für die Triloge und in sich kohärent. Wenn die Konservativen versuchen, Business-Positionen durch die Hintertür im Plenum ins Verhandlungsmandat zu schmuggeln, wäre das ein fataler Schlag für die Bürgerrechte. Das dürfen wir nicht zulassen.“ (Pressemitteilung vom 19. Oktober 2017)

Kompromisse: Nicht jede Datenschutz-Forderung umgesetzt

Gemeinsam mit vielen anderen Grundrechte- und Datenschutzorganisationen haben wir drei Forderungen für eine starke ePrivacy-Verordnung aufgestellt. (1) Wer keine Cookies will, muss wirksam „Nein“ sagen können. (2) Datenschutz muss die Standard-Einstellung „ab Werk“ bei allen Programmen sein! (3) Es darf für Tracking keine Schlupflöcher in der ePrivacy-Verordnung geben. Die ersten zwei Forderungen sind vom ePrivacy-Entwurf des LIBE-Ausschusses weitgehend erfüllt, allerdings sind Tracking-Schlupflöcher geblieben.
Die französische Organisation „La Quadrature du Net“ mahnt die Kompromissbereitschaft an. Nach LIBE-Entwurf können Geschäfte und Städte Geräte geolokalisieren, ohne, dass Betroffene einwilligen müssen. Unternehmen können Kommunikations-Metadaten ohne Einwilligung erfassen. Das betrifft zum Beispiel eine E-Mail an ein Gmail-Postfach. Google darf nach jetzigem ePrivacy-Entwurf erfassen, wer, wann, wo mit wem kommuniziert. Website-Tracking ist möglich, um die „Reichweite“ der Website zu ermitteln (Geodaten und Linkverfolgung). Websites können den Zugang sperren, wenn Nutzer.innen keine persönlichen Daten preisgeben oder nicht bereit sind, Geld zu zahlen. Hier sieht „La Quadrature du Net“ das Grundrecht auf Privatsphäre als Kauf-Option untergraben.
Jan Philipp Albrecht kommentiert: „Ausnahmen gelten nur für statistische Messungen des Nutzerverhaltens und für die Gewährleistung von IT-Sicherheit durch die Kommunikationsanbieter.“ (Pressemitteilung vom 19. Oktober 2017)

Werbeindustrie sieht sich benachteiligt

Konservative Abgeordnete und die Werbeindustrie zeigten sich mit dem ePrivacy-Entwurf des LIBE-Ausschusses unzufrieden. Kurz vor der LIBE-Abstimmung verließen die Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der die Abgeordneten von CDU/CSU gehören, die Verhandlungen offenbar einseitig (netzpolitik.org berichtete). Eine Pressemitteilung von Axel Voß, der als konservativer EU-Abgeordneter die Argumente der Werbeindustrie vertritt, gibt es nicht.

Daniel Dalton, konservativer Abgeordneter im EU-Parlament sagt: „(…) [T]he Parliament appears intent on strangling the life blood of the internet and funding streams for start-ups by taking a maximalist approach to the issue of privacy online. (…) And this is the crux. The internet is currently built on data that people generate online and their information is the single most valuable commodity for any platform. It allows companies to invest money in creating new services that can then be offered to consumers for free, knowing that they can monetise their data through advertising and earn revenue to continue funding those free services for consumers.“ (Pressemitteilung vom 19. Oktober 2017)

Susanne Dehmel vom Digitalverband Bitkom sagt: „Der heute abgestimmte Verhandlungstext ist sehr einseitig darauf ausgerichtet, Datenverarbeitung grundsätzlich zu verbieten, Ausnahmen gibt es so gut wie keine. Für bestehende und zukünftige Geschäftsmodelle im klassischen Internet ebenso wie im Internet of Things wird dies erhebliche Auswirkungen haben. Die vorliegende E-Privacy Verordnung torpediert die Bemühungen der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten, die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in Europa voranzutreiben.“ (Pressemitteilung vom 19. Oktober 2017)

Graphik von CCO
Graphik anklicken zum Vergrößern. Graphik: Corporate Europe Observatory (CEO)

Der Lobby-Kampf geht weiter

Der LIBE-Ausschuss wollte nach der Abstimmung am 19. Oktober 2017 direkt mit dem Rat der EU weiter verhandeln. Aber auf Drängen der konservativen ECR-Gruppe wird das gesamte EU-Parlament in Straßburg über diesen Entwurf am 26. Oktober 2017 abstimmen. Die Konservativen im Parlament versuchen so mit weiteren Änderungsanträgen den Schutz der Privatsphäre im LIBE-Entwurf abzuschwächen und Forderungen der Werbeindustrie durchzusetzen.
Die nächste Etappe für die ePrivacy-Verordnung werden die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Rat sein. Im Rat gibt es sogar Bestrebungen eine Überwachung mittels Vorratsdatenspeicherung in die ePrivacy-Verordnung zu integrieren. Das wäre eine Katastrophe für den Schutz der Privatsphäre in der EU!

ePrivacy: Fordert Eure EU-Abgeordneten auf bei der ePrivacy-Abstimmung am 26. Oktober 2017 Eure Kommunikation zu schützen! Du kannst helfen, damit die Verordnung unsere Privatsphäre schützt, nicht aushöhlt. Nimm Kontakt mit deinen Abgeordneten auf und erinnere sie daran, dass Grundrechte auch im Internet gelten müssen.

Auf welcher Seite steht die neue Bundesregierung?

Die Große Koalition hat damals alles getan, um im Rat der EU den Datenschutz in den Verhandlungen um die Europäische Datenschutzgrundverordnung abzuschwächen. Für diese Sabotage hat Max Schrems 2015 dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich einen unserer BigBrotherAward verliehen. (Video ansehen)
Je nachdem, auf welches netzpolitische Programm sich die neue Bundesregierung einigt, droht der ePrivacy-Verordnung ein ähnlicher Angriff aus Deutschland. Die ersten Signale, die das vermuten lassen, hat die Anti-Lobby-Organisation „Corporate Europe Observatory“ in ihrer Studie „Big Data is watching you – The industry lobby battle against ePrivacy“ zum Lobby-Einfluss auf die ePrivacy-Verordnung gefunden:

„However Germany is already mooting a possible dilution. A position paper on ePrivacy drafted by the German Government which was dated August 2017 and circulated to member state delegations, stated that provisions on tracking cookies and consent needed to be “carefully reviewed and be discussed in much more detail”. It continued: “These are provisions are highly significant for both companies and private individuals alike. These provisions need to protect the right to informational self determination. At the same time, they must not preclude the development and use of legitimate business models; this notably applies to business models that ensure access to information that is influential on user’s opinion. The relevant provisions ought to be practical and reflect the interests of users and service providers alike.” [Emphasis added.]“ „Big Data is watching you – The industry lobby battle against ePrivacy“

Die gute Nachricht: Wir haben weiter Einfluss!

ePrivacy: Fordert Eure EU-Abgeordneten auf bei der ePrivacy-Abstimmung am 26. Oktober 2017 Eure Kommunikation zu schützen! Du kannst helfen, damit die Verordnung unsere Privatsphäre schützt, nicht aushöhlt. Nimm Kontakt mit deinen Abgeordneten auf und erinnere sie daran, dass Grundrechte auch im Internet gelten müssen.

Weiterführende Links

Titelbild: Bernard Goldbach: Circles of Privacy CC BY 2.0