Bundestagswahl 2017: Mehr Überwachung oder Freiheit?

Der Bundestagswahlkampf 2017 bietet die Möglichkeit, digitalpolitische Forderungen auf die politische Agenda der nächsten Legislaturperiode zu setzen. Setzen sich die Parteien für Überwachung ein oder für Grundrechte und Privatsphäre? Im Wahlkampf wird, nach den Erfahrungen mit der US-Wahl, auch in Deutschland die Beeinflussung von Wähler.innen befürchtet. Im Vorfeld der Wahl geben verschiedene Projekte, Initiativen und Forderungspapiere einen Überblick. Wir haben uns zwölf Projekte zur Bundestagswahl 2017 angesehen:

Aktualisierung vom 10. August 2017: Gabriela Keller und Kai Schlieter berichten in der Berliner Zeitung vom digitalen Wahlkampf: „Wie Parteien Dank sozialer Medien gezielt Wähler ansprechen“. Der Artikel erklärt, wie das Marketing-Unternehmen Praxisnah im Auftrag der CDU Daten von Facebook, Acxiom, der Post und anderen Datenhändlern kauft, potenzielle Wähler.innen sortiert und dann mit der App „Connect17“ im Haustürwahlkampf unter anderem die Reaktionen der Wähler.innen erfasst. Die gesammelten Daten werden eingesetzt, um ausgewählten Gruppen zugeschnittene Wahlbotschaften zu senden.

Aktualisierung vom 06. September 2017: Dem Thema Microtargeting und der Problematik des Datenwahlkampfes haben wir uns ausführlich im Blogartikel „Der Daten-Wahlkampf ist für Wähler.innen undurchsuchtig“ gewidmet.

Inhalt:

  1. Wahlprogramme und Forderungen: (Wahlkompass Digitales, Digital-O-Mat, Abgeordnetenwatch, Artikel 1 – Wählerinitiative, Wahlprüfsteine von D64, Verbraucherzentralen, Artikelserien von Netzpolitik.org und Golem.de, eco: Wahl/Digital Check)
  2. Fairplay im Wahlkampf: (AlgrorithmWatch, Bundesregierung: Leitfaden für datenschutzkonformen Wahlkampf, Gesellschaft für Informatik: Algorithmen und Meinungsbildung)
  3. Informieren – Vergleichen – Fordern – Wählen


1. Wahlprogramme und Forderungen

Wahlkompass Digitales für mehr Transparenz

Die Programme der einzelnen Parteien für die Bundestagswahl 2017 geben bereits einen ersten Aufschluss über mögliche digitalpolitische Schwerpunkte der nächsten Legislaturperiode. Das Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft hat diese unter die Lupe genommen und den Wahlkompass Digitales entwickelt. Hier bietet sich die Möglichkeit, zwei Programme der im Bundestag vertretenen Parteien (CDU/CSU, SPD, Die Grünen und Die Linken), wie auch der AfD und FDP, nach digitalen Themen zu durchsuchen und gleichzeitig nach unterschiedlichen Kategorien, beispielsweise Europa, Vorratsdatenspeicherung und Migration, zu filtern.

Koaltion freies Wissen: Digital-O-Mat

Welche Partei vertritt meine Positionen in der digitalen Poltik? Der Digital-O-Mat verspricht mit zwölf Klicks darauf eine Antwort zu geben und ist ein Kooperationsprojekt von sieben Bürgerrechtsvereinen, die sich mit digitalen Themen auseinander setzen. Die Initiative sendete den großen Parteien im Sommer 2017 hierzu zwölf Statements zu. Alle Parteien (Union, SPD, Grüne, Linke und FDP), bis auf die AfD, positionierten sich mit Zustimmung, Ablehung oder Neutralität zu den Statements und fügten detailierte Antworten hinzu. Die Statements und Antworten sind nun online verfügbar und anhand des Digital-O-Mats kann jetzt jede.r die eigenen Ansichten mit denen der Parteien vergleichen. Ein Plus des Digital-O-Mats ist die Ausführlichkeit der Statements, die beurteilt werden sollen. Das gibt eine Richtung der Thesen vor und macht eine klare Positionierung möglich! Aber vorsicht: Die Statements müssen gründlich gelesen werden.

Abgeordnetenwatch: Wer sagt was zu Datenschutz, Überwachung & Co.?

Besonders zur Bundestagswahl können Bürger.innen online Fragen an den jeweiligen Kandidierenden und Abgeordneten stellen. Dieses Angebot bietet die Plattform abgeordnetenwatch.de und versteht sich dabei als der direkte Draht zwischen Bürger.innen und Politik. Anhand eines leicht verständlichen Formulars und unter Vorbehalt eines Moderationscodex kann jeder sein Anliegen an die Kandidierenden herantragen. Im Anschluss wird die Frage mit Vor- und Nachnamen der Fragensteller.innen veröffentlicht und erhöht damit den Druck auf die Antwortgeber.innen. Bitte den Codex für die Moderation von Anfragen beachten!

Artikel 1 – Wählerinitiative zur Bundestagswahl

Der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, hat in Kooperation mit Markus Löning, FDP-Politiker und ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, eine Wählerinitiative zur Bundestagswahl 2017 erarbeitet. Im Fokus der Initiative stehen der Artikel 1 des Grundgesetzes und die Unveräußerlichen Menschenrechte. Die zunehmenden „Sicherheitsmaßnahmen“ der Bundesregierung, wie Vorratsdatenspeicherung und Staatstrojaner, geben Schaar und Löning zu Denken. Bürgerrechte dürfen nicht dem Credo „Supergrundrecht auf Sicherheit" untergeordnet werden, sondern müssen durch die zukünftige Regierung wieder gestärkt werden – die Artikel-1-Wählerinitiative zur Bundestagswahl stellt ihre Position online zur Diskussion und will ab Juli werben:

Über Kommentare und Anregungen würden wir uns freuen. Ab Juli soll dann für die Unterstützung der parteiunabhängigen Wählerinitiative geworben werden. (peter-schaar.de)

Wahlprüfsteine von D64: Wie ernst nehmen die Parteien die Digitalisierung?

D64, Zentrum für digitalen Fortschritt, stellte „41 digitalpolitische Fragen“ an die im Bundestag vertretenen Parteien (CDU/CSU, SPD, Die Linken, Bündnis 90/Die Grünen), wie auch an die FDP. Durch Zustimmung oder Ablehnung der Wahlprüfsteine haben sich die Parteien zu den 41 Themen, wie Vorratsdatenspeicherung, Digitale Bildung und Datenschutz, positioniert. D64-Vorstandsmitglied Henning Tillmann erhofft sich, den Wähler.innen klare Aussagen über die Absichten der Fraktionen für die nächste Legislaturperiode bieten zu können. D64 steht der SPD nahe und hat (alle Fragen und Antworten)[https://digital17.d-64.org/] im August 2017 veröffentlicht.

Verbraucherzentralen: Verbraucher.innen schützen in einer digitalen Welt

Keine Diskriminierung der Verbraucher.innen und neues Vertrauen in Wirtschaft und Politik schaffen, sind die Kernforderungen des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Konkret fordert der vzbv die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit mindestens 10 Megabit Breitband-Internet bis 2018. Auch das Einrichten bundesweit sicherer und offener WLAN-Zugänge müsse weiter voran getrieben werden. Für mehr Transparenz sieht der vzbv für die kommende Legislaturperiode die Offenlegung von Verbraucherdaten und das Prüfen von Algorithmen vor. Zum einem sollen hierbei Daten, die zur Bewertung von Verbraucher.innen genutzt werden, diesen öffentlich verfügbar sein und zum anderen verwendete Bewertungsalgorithmen für die Aufsichtsbehörde nachvollziehbar und überprüfbar werden. Weiter muss laut vzbv eine Plattform für datenschutzkonforme Fitness- und Gesundheitsapps durch die kommende Bundesregierung etabliert werden. Das derzeitige Angebot ist unübersichtlich und qualitativ hochwertige Anwendungen sind kaum vorhanden: So findet die Nutzung dieser Apps unter Preisgabe höchst sensibler persönlicher Daten statt.

Netzpolitik.org: Der netzpoltische Wahlprogramm-Vergleich

Netzpolitik.org analysiert die Wahlprogramme der großen Parteien im Wahlkampf: Themen sind innere Sicherheit, Überwachung, Bildung, Urheberrecht, Kommerzialisierung und Verbraucherschutz. Die bereits erschienen Artikel widmen sich der Fragen nach mehr Transparenz und offenen Daten, dem Umgang der Parteien mit digitalem Regieren und Verwalten und dem Ausbau der mobilen Infrastruktur.

Golem.de: Artikelserie zu Netzpolitik und Mobilität zur Bundestagswahl 2017

In einer siebenteiligen Artikelreihe beschäftigten sich auch die Journalist.innen von Golem.de mit den Wahlprogrammen aller Parteien, die Chancen auf den Einzug in den Bundestag haben (CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke, FDP und AfD). Die Artikel haben den Anspruch, die Positionen der Parteien zu den wichtigsten Fragen der Netzpolitik und Mobilität anhand der Programme zu erklären. Zu den Themen gehören unter anderem IT-Sicherheit, Ausbau der Netzinfrastruktur, Daten- und Verbraucherschutz und E-Governance.

eco: Wahl/Digital Check 2017

Der netzpolitische Parteiencheck vom eco-Verband orientiert sich an dem Prinzip des Wahl-o-mats. Der Check fragt die Einstellungen der Benutzer.innen zu 42 digitalpolitischen Themen ab und vergleicht diese anschließend mit den Postionen von Netzpolitiker.innen der im Bundestag vertretenen Parteien. Die Themen sind digitale Wirtschaft, Bildung und Arbeit, digitale Infrastruktur, Recht und Sicherheit im Internet und der politische Stellenwert der Netzpolitik. Allerdings geben die Thesen, denen zugestimmt werden kann oder die abgelehnt werden können, keine klare Richtung vor. Um Aussagen wie „Das Thema Digitalsierung sollte künftig von einem Ministerium koordiniert werden“ beurteilen zu können, sind mehr Details notwendig. Denn entscheidend ist, welchen Auftrag solch ein Ministerium bekommt und wie es arbeitet. Ecos Nähe zur Wirtschaft, als Unternehmensverband, spiegelt sich in vielen Fragen: Soll Digitalisierung vorangetrieben werden? Klar, aber entscheidend ist doch, wer die Digitalisierung mit welchen Zielen voran bringt. Aber dazu gibt es leider keine Frage. Besonders fatal: Bei Grundsatzfragen, wie Vorratsdatenspeicherung beibehalten oder abschaffen, ist die geforderte klare Positionierung generell wünschenswert. Jedoch weichen die Vergleichsantworten der Netzpolitiker.innen durchaus vom eigenen Parteikurs ab. So positionieren sich die Netzpolitiker.innen der SPD gegen die Vorratsdatenspeicherung, obwohl die eigene Fraktion die Vorratsdatenspeicherung noch in der letzten Legislaturperiode verabschiedet hatte! Auch nach mehreren Testdurchläufen fanden wir die Einschätzung am Ende des Wahl/Digital Checks nur schwer nachvollziehbar und ein kritischer Blick in die detailierten Antworten ist unvermeidlich. Das Ergebnis des Wahl/Digital Checks ist keine Wahlempfehlung, sondern kann lediglich ein weiteres Informationsangebot darstellen. Fazit: Ein Blick in die Parteiprogramme ist ergiebiger.


2. Fairplay im Wahlkampf

AlgrorithmWatch: Projekt Datenspende zur Bundestagswahl 2017

Mit der Frage, wie und welche personalisierten Ergebnisse die Nutzer.innen bei der Google-Recherche zur Bundestagswahl erhalten, beschäftigt sich das Crowdsourcing-Projekt von AlgrorithmWatch und bittet hierbei um Mithilfe. Mit der Installation eines Plug-Ins werden bis zu sechs Suchanfragen am Tag (ca. alle 4 Stunden) über den Browser an Google und Google-News gesendet. Dabei wird eine Variation von Suchbegriffen, wie zum Beispiel Angela Merkel, Martin Schulz oder FDP, verwendet. Die Ergebnisse der ersten Trefferseiten und der ungefähre Standort (Orts-/ Straßennamen) werden anschließend an AlgorithmWatch weitergeleitet. Auch das Einloggen eines Google-Kontos und die Uhrzeit werden notiert. Ziel des sogenannten Datenspendens ist es, die Faktoren, welche die Suchergebnisse beeinflussen, festzustellen und die verwendeten Algorithmen sichtbar zu machen. Trotz der vorgenommen Anonymisierung der Daten hat die Website des Projekts Lücken im Datenschutz, weil sie Tracking nutzt. Google, Facebook und Twitter erhalten Daten über die Nutzung der Seite, wie eine Analyse zeigt. Unser Verbesserungsaufruf fand leider noch kein Gehör.

Bundesregierung: Leitfaden für datenschutzkonformen Wahlkampf

Zunehmend tritt der Online-Wahlkampf in Konflikt mit Datenschutz. Um dem vorzubeugen, entwickelte die Stiftung „Datenschutz“ der Bundesregierung eine Leitfadenbroschüre für den datenschutzkonformen Wahlkampf. Hier wird an die Grundsätze des Datenschutzes erinnert: Zweckbindung, Datenvermeidung und -sparsamkeit, die Direkterhebung der Daten und die ausdrückliche und transparente Einwilligung der Bürger.innen in die Datennutzung. Weiter fordert der Leitfaden die Möglichkeit, Widerspruch gegen das Erstellen von Nutzungsprofilen einlegen zu können. Diese dienen der gezielten Vermittlung von politischen Botschaften. IP-Adressen und andere Personendaten dürfen jedoch nur mit Zustimmung der Betroffenen gespeichert werden.

Gesellschaft für Informatik e.V.: Algorithmen und Meinungsbildung

Anlässlich der Befürchtungen aus dem US-Wahlkampf gibt die Gesellschaft für Informatik ein Sonderheft heraus. Die Artikel diskutieren den Einfluss von Algorithmen auf die Meinungsbildung. Zwei der neun Beiträge untersuchen das Problem „Microtargeting“. Haben die sozialen Medien den Ausgang der US-Wahl tatsächlich beeinflusst? Ist das in Deutschland möglich? Beleuchtet werden auch die wichtigsten netzpolitischen Akteure der Wahl in Deutschland, darunter Facebook und Google. Wer ist überhaupt verantwortlich, wenn Algorithmen entscheiden? Das Sonderheft ist bis zur Bundestagswahl kostenlos zugänglich.


3. Informieren – Vergleichen – Fordern – Wählen

Für die Bundestagswahl 2017 gilt: Die Weichen für Digitalisierung, Überwachung und Grundrechte werden gestellt – mischt euch ein!

Text: Lisa Fuchs
Aufmacherbild: Isabell Schulz CC BY-SA 2.0