Eine Hintertür für die Demokratie

Wie werden wir diese Geheimdienste los? Eine Lösung für dieses Problem wurde am Mittwoch, 30. September 2015 in Berlin im noblen Hotel Park Inn am Alexanderplatz vorgestellt. Das Künstler.innen-Kollektiv Peng! hat zur Pressekonferenz geladen und mehr als 30 Journalistinnen und Journalisten sind gekommen, um über das Ausstiegsprojekt Intelexit (Twitter: #intelexit) zu berichten:

Anlaufstelle für Aussteiger.innen

Intelexit ist eine Anlaufstelle für Geheimdienst-Mitarbeiter.innen und deren Angehörige. Intelexit unterstützt alle Schritte weg vom verfassungsfeindlichen Arbeitsplatz: Aufklärung zu ethischen Fragen im Zusammenhang mit Überwachungstätigkeiten, Unterstützung beim Erstellen eines Kündigungsschreibens, Hilfe bei der Durchführung des Ausstiegs und beim Aufbau eines neuen Lebens.

Auf dem Podium sprachen

Nighat Dad, Pakistan Digital Rights Foundation sprach über Drohnenüberwachung und Kriegsführung von deutschem Boden aus. Sie erzählte von persönlichen Erfahrungen und sagte, dass diese permanente Bedrohung der Bevölkerung ohne Geheimdienstinformationen nicht möglich wäre. Nighat Dad machte deutlich, dass diese Informationen, die das Leben von Menschen bedrohen, oft tödlich falsch sind. Viele Menschen trauen sich kaum noch, auf Hochzeiten zu gehen oder zu anderen Familientreffen, weil die Bedrohung durch geheimdienstgesteuerte Drohnen immer und überall, auch im wörtlichen Sinn über Ihnen schwebt. Dazu, sagt sie unter Tränen, sollten wir unsere Regierung befragen. Und eines sagte sie stark betont: Es sei einfach für sie, hier in Deutschland, zu sprechen. In Pakistan, unter ständiger Überwachung, sei das nicht möglich.

Mitat Özdemir, Sprecher der Initiative „Keupstraße ist überall“, erzählt aus seinen Erfahrungen mit dem sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ und dem deutschen Verfassungsschutz nach dem „Nagelbombenanschlag“ in der Kölner Keupstraße. Nach dem Anschlag sprachen verdeckt ermittelnde Beamte mit den Anwohnerinnen und Anwohnern - erst sehr freundlich. Aber erst nach dem Bekanntwerden eines Berichts kam heraus, dass alle Anwohner.innen als Verdächtige behandelt wurden. Hinweise auf Rechtsradikale Täter wurden stets zurückgewiesen; der Verfassungsschutz versteifte sich darauf, dass nur „Keupstraßler.innen“ die Täter gewesen sein konnten. Den Aussagen der Bewohner.innen wurde kein Glauben geschenkt, sondern sie wurden weiter verdächtigt. Als die Bewohner.innen aufgrund der schlechten Erfahrungen nicht mehr mit den Behörden sprechen wollten, hieß es, dass „die wohl was zu verbergen hätten“ und sie wurden noch stärker verdächtigt, zu den Tätern zu gehören oder diese zumindest decken wollten. Erst sieben Jahre, nachdem der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund“ bekannt geworden war, ging der Überwachungsdruck zurück. Mitat Özdemir sagt, dass der Verfassungsschutz hier auf der gesamten Linie versagt hat. „An wen sollten wir glauben?“, fragt er. Staat? Polizei? Verfassungsschutz? Warum macht der Verfassungsschutz in Köln eine Arbeit, die eigentlich die Polizei machen sollte? Mitat Özdemir war selbst in München beim „NSU-Prozess“. Er hörte dort von „Verfassungsschützern“ nur die Aussagen: „weiß ich nicht“ und „keine Ahnung“. Deshalb wünscht er sich, dass Verfassungsschtzbeamte, die nichts sagen dürfen, aussteigen aus der völlig intransparenten und augenscheinlich völlig nutzlosen Arbeit. Auf die Frage, ob er selbst mit Leuten vom Verfassungsschutz gesprochen habe, sagte er, dass er das nicht weiß. Aber als Vorsitzender der Initiative Keupstraße, kann er nie wissen, ob Journalist.innen oder interessierte Bürger.innen, in Wirklichkeit für einen Geheimdienst arbeitet.

Jérémie Zimmermann, La Quadrature du Net sprach über Massenüberwachung, Pressebespitzelung und über den Verlust von Privatsphäre. Er sagt, dass der schlimmste Seiteneffekt der Überwachung ist, dass wir nie wissen, ob wir überwacht werden, wer uns überwacht und was die Informationen und Ergebnise aus dieser Überwachung sind. Das erzeuge Angst in der gesamten Gesellschaft. Jérémie Zimmermann erklärt die widerliche Situation, in der sich die meisten Geheimdienstmitarbeiter.innen befinden: Sie haben sich wohl in der Vorstellung, etwas für den Schutz der Demokratie und den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu tun, bei den Geheimdiensten beworben – und finden sich dann in einem kleinen grauen Büro wieder und müssen genau das Gegenteil von dem zu tun, was sie eigentlich tun wollen. Deshalb gibt es das Ausstiegsprogramm Intelexit.
Zimmermann appelliert, dass es mehr Whistleblower geben muss. Er verweist auf Snowden, Manning, Assage, Schwartz und andere, die uns von den Machenschaften berichtet haben – und dafür leider sehr bittere persönliche Nachteile in Kauf nehmen müssen. Wir müssen Whistleblowern eine offene Hand reichen, damit sie kollektiv geschützt sind, wenn sie ins Licht der Öffentlichkeit treten. Zimmermann ruft auch die Allgemeinheit dazu auf, sich selber mehr zu schützen: „Nutzt mehr Anonymisierung durch Tor, Verschlüsselung, freie Software“. .

Lizvlx, Sprecherin von Intelexit, präsentierte erste Ergebnisse aktueller Fälle, die sich bei Intelexit gemeldet haben und erklärte entsprechende Strategien zum Umgang mit diesen.
Liv berichtet, dass bereits einige E-Mails eingegangen sind, von Menschen, die sich „aussteigungswillig“ zeigten. Allerdings konnten sie noch nicht verifizieren, ob das nicht nur 'Scherze' waren. Während der Pressekonferenz fragte eine Journalistin nach näheren Informationen, ob das nun Leute vom Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz oder dem Militärischen Abschirmdienst waren und bekam deutlich geantwortet, dass es zum Schutz der potentiellen Aussteigerinnen und Aussteigern natürlich notwendig ist, keinerlei Informationen über diese Personen, die oft unter einem hohen persönlichen Druck stehen, herauszugeben.

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Titelbild: Digitalcourage / Intelexit CC BY 3.0