24. Türchen

Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2014 und ist daher potentiell veraltet. Schauen Sie doch mal in unseren aktuelleren Adventskalender oder bei der digitalen Selbstverteidigung.

Frohe Weihnachten!

Die letzten 23 Türchen haben Ihnen viele wertvolle Tipps gegeben, wie Sie sich auf technischer und politischer Ebene gegen Bevormundung in der digitalen Welt zur Wehr setzen können. Sie haben es nicht geschafft, sich an alle zu halten? Keine Sorge, wir auch nicht. (Obwohl wir das natürlich niemals zugeben würden.)

Es geht nicht darum, alles immer und in jedem Augenblick perfekt zu machen, sondern digitale Mündigkeit zu entfalten. Digitale Mündigkeit bedeutet, Verantwortung für das eigene Handeln selbst zu tragen -- auch im digitalen Raum. Wenn Sie wissen, auf welches Risiko Sie sich einlassen, spricht nichts dagegen, sich hin und wieder auf etwas riskantes einzulassen. Doch die Voraussetzung dafür ist, sich des Risikos bewusst zu sein. Und das wird leider immer schwerer.

Treffen Sie in Zukunft leichter und (verantwortungs)bewusster Ihre eigenen Entscheidungen. Dazu geben wir Ihnen heute – in diesem letzten Türchen – ein paar allgemeine Hinweise zu digitaler Mündigkeit.

Mündigkeit

Der Begriff der Mündigkeit ist zunächst ein Rechtsbegriff. Er bedeutet, dass ein Mensch verantwortlich für sein Leben ist. Historisch leitet er sich ab von altdeutsch Munt, der Bezeichnung der Verantwortung des früheren Hausherren über seine Frau, Kinder und Gesinde. Mündig konnten damals nur Männer werden, nämlich dann, wenn sie aus der Munt des Vaters heraustraten und für ihr eigenes Leben Verantwortung übernahmen. Frauen gingen über von der Munt des Vaters in die Munt des Ehemannes. Heute ist Mündigkeit vor allem ein rechtlicher Status, der einem Menschen z.B. das Wahlrecht oder das Recht, die Ehe einzugehen, zuspricht.

Mündig sein bedeutet, Verantwortung für das eigene Leben zu tragen.

Neben der rechtlichen bzw. historischen Bedeutung gibt es auch eine philosophische Definition von Mündigkeit. Immanuel Kant griff den rechtlichen Begriff auf und wendete ihn auf eine ganze Gesellschaft an. Er vergleicht die Geschichte der Menschheit mit dem Heranreifen eines Kindes. Auch hier geht es darum, Verantwortung für den eigenen Fortbestand zu tragen. Damit legte die Aufklärung die Grundlagen der modernen Demokratie.

Glühbirne

Wir tragen also doppelte Verantwortung: Für unser eigenes Leben und für den Fortbestand unserer Gemeinschaft. Dieser Verantwortung müssen wir uns bewusst sein, vor allem dann, wenn wir uns im Internet bewegen.

Doch Kant warnte damals schon, dass es nicht möglich sei, ad hoc mündig zu werden, wenn man zuvor noch gar nicht frei war. Mündigkeit ist Übungssache. Auch in der digitalen Welt: Menschen werden mit unfreier und komplizierter Software konfrontiert, die ihnen gar nicht die Möglichkeit bietet, deren Funktionsweise zu studieren. Der Umgang mit dem Computer wird sehr minimal und oberflächlich antrainiert und später nicht mehr hinterfragt. Wenn Mündigkeit und Freiheit Übungssache sind, dann sind in der digitalen Welt Übungsmöglichkeiten erforderlich. Diese Herausforderung stellt sich besonders bei der Nutzung des Internets. Bei der Auswahl und Bewertung von Inhalten ist ständig Eigeninitiative nötig.

Heimliche Entmündigung

Meist nehmen wir gar nicht mehr so deutlich wahr, wo und wie wir überall entmündigt werden. Wenn wir einen Kredit nicht erhalten, weil uns eine Datenbank (anhand der statistischen Eigenschaften unserer Nachbarn) als nicht zuverlässig eingestuft hat, oder einen Job nicht antreten dürfen, weil wir vermeintlich Asthmatiker sind (dabei hatten wir nur für den Vater die Medikamente gekauft): Wir kennen diese Gründe nicht und wissen daher nicht, wie sehr die weltweite Datensammlung schon unseren Alltag beeinflusst.

Wie soll man da noch Verantwortung für das eigene Leben übernehmen?

Die Filterblase

Um im großen Datendickicht den Überblick zu wahren, wird im Internet – auch zu unserem Nutzen – vieles für uns personalisiert. Beispielsweise die Suchergebnisse, werden von der Suchmaschine auf uns optimiert. Das ist praktisch, denn so findet man viel schneller das, was man wirklich sucht. Doch es ist auch problematisch, da wir meist nur stets das angezeigt bekommen, was wir schon kennen.

Eli Pariser nennt das die „Filterblase“. Treffer, die unsere Gewohnheiten angreifen, oder eine Gegenposition zu unserer Meinung darstellen, sehen wir immer seltener. Und so bewegen wir uns mehr und mehr in einer Umgebung, die nur scheinbar neutral die Realität darstellt: In Wirklichkeit befinden wir uns in einer Blase, die uns die eigene Weltvorstellung als allgemeingültig vorspielt. Und das ist Gift für einen freien Geist, der sich ständig hinterfragen und neu ausrichten können möchte. In Konflikten liegt großes Wachstumspotential, um das wir uns berauben, wenn wir vor lauter Bequemlichkeit andere Meinungen einfach ausblenden.

(Verantwortungs-)bewusstsein als erster Schritt

Gegen Personalisierung und heimliche Entmündigung können wir uns zunächst nicht wehren. Daher ist es besonders wichtig, sich diese Phänomene stets ins Bewusstsein zu rufen. Wer sich dabei erwischt, ein Google-Ergebnis unterbewusst als „neutrale Suche“ verbucht zu haben, ist schon einen Schritt weiter, als wer noch immer glaubt, sie sei neutral.

Der erste und wichtigste Schritt in die digitale Mündigkeit ist Verantwortungsbewusstsein. Verantwortung tragen bedeutet nicht, immer alles richtig zu machen, sondern die richtigen Fragen zu stellen und sich mit den Konsequenzen des eigenen Handelns zu konfrontieren. Machen Sie sich stets bewusst, wie viel Ihnen nicht bewusst ist und verhalten Sie sich entsprechend. Unterstützen und schützen Sie Strukturen, die Transparenz und Offenheit ermöglichen, und hinterfragen Sie Strukturen, die Ihnen vorschreiben wollen, was Sie tun oder denken sollen. Besonders wichtig dabei: Üben Sie, auch Menschen oder Systeme zu hinterfragen, denen Sie vertrauen. Das ist besonders schwer, aber genau hier ist das Einfallstor für Fremdsteuerung.

Weitere Schritte: Angewandte digitale Mündigkeit

Eine sehr effektive Maßnahme ist, sich elementare Fragen zu stellen, bevor man Handlungen begeht, Dienste nutzt oder Daten herausgibt.

  • Hinterfragen Sie Ihre digitalen Handlungen. Stellen Sie sich immer die Frage: Wenn ich das jetzt mache, wer hat außer mir einen Nutzen davon? Wer könnte Schaden nehmen? Möchte ich das wirklich? Und warum ist das so schwer zu erkennen?

  • Nutzen Sie möglichst wenige kostenlose Dienste. Machen Sie sich stets bewusst, dass Sie hier meist in einer anderen Währung bezahlen: mit Ihren Daten und Ihrer Freiheit. Zwar sind nicht alle kostenlosen Dienste grundsätzlich „böse“ (vergleichen Sie dazu unser 14tes Türchen), doch bei allem, was kostenlos ist, sollten Sie zumindest hellhörig werden.

  • Behalten Sie die Kontrolle über Ihre Daten. Speichern Sie auf eigenen Datenträgern, Ihrer Festplatte oder Ihrem Heimserver statt in der "Cloud". Warum die Cloud problematisch ist, können Sie in der BigBrotherAwards-Laudatio zur Cloud erfahren; wie Sie Ihre private Cloud einrichten können, verrieten wir Ihnen hinter Türchen 13.

  • Nutzen Sie Freie Software: Linux statt Apple oder Windows, LibreOffice statt Microsoft Office, Firefox statt dem Internet Explorer oder Chrome, Thunderbird statt Outlook. Eine Sammlung alternativer, freier Software hat die Electronic Frontier Foundation (EFF) zusammengestellt.
    Auch Freie Software ist nicht immer sicher und verlässlich. Vor allem, wenn Firmen dahinter stecken, können sich auch hier Gemeinheiten im Code oder im Installationsprogramm befinden. Doch der Code ist für alle frei verfügbar, und somit werden Gemeinheiten viel schneller ausfindig gemacht. Auch wenn Sie den Code nicht selbst lesen können, ist es für Sie wichtig und nützlich, dass er offen ist. Das können Sie sich etwa so vorstellen wie mit Gesetzen: Die können Sie auch nicht alle verstehen, doch es ist essentiell wichtig, dass sie zugänglich sind, damit Sie oder bei Bedarf Ihr Rechtsbeistand erfahren können, was gegen die Regeln verstößt, und damit diese Regeln zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte werden können. Ähnlich wie Gesetze ist auch Freie Software nicht prinzipiell „gut“. Doch nur Freie Software kann hinterfragt und verbessert werden.

  • Seien Sie vor allem vorsichtig und kritisch: Hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben.

Bild:
nhuisman unter Lizenz CC-nc-sa


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