Videoüberwachung in Bielefeld
Stellungnahme von Digitalcourage zum Pilotprojekt Videoüberwachung im Ravensberger Park
Im Ravensberger Park sollen Überwachungskameras aufgestellt werden. In Übereinstimmung mit seinem Dienstherrn, Innenminister Behrens, macht sich Polizeipräsident Kruse seit Monaten für die Installierung des Pilotprojekts in Bielefeld stark. Der Antrag des Polizeipräsidenten liegt seit dem 18. April bei der Bezirksregierung, noch gibt es keine Reaktion aus Detmold. Aber auch in Bielefeld haben sich weder der Hauptausschuss der Stadt noch die Bezirksvertretung Mitte eindeutig zur Sachlage geäußert. Für die Bezirksregierung gilt das vom Innenminister festgesetzte Datum 15. Juni 2000 als letzter Termin für eine Stellungnahme.
Wir beschäftigen uns seit 1987 mit Computertechnik und elektronischen Medien. 1989 waren wir die ersten, die Bielefeld mit der MailBox BIONIC ans weltweite Netz angeschlossen haben. Ab 1991 haben wir das ZaMir-Netz aufgebaut und damit den Menschen im Kriegsgebiet in Ex-Jugoslawien ermöglicht, über neue Grenzen hinweg zu kommunizieren. Technikfeindlichkeit kann man uns also gewiss nicht nachsagen. Im Gegenteil, gerade weil wir mit der Problematik um neue Technologien, Informationsverarbeitung und Datensammlung vertraut sind, wissen wir auch um die Folgen die Technik für die Gesellschaft und jede und jeden Einzelnen haben kann.
Zu der geplanten Videoüberwachung melden wir uns als sachkundige Bürgerinnen und Bürger zu Wort.
Wir sind gegen die Videoüberwachung.
Was wird denn eigentlich ins Feld geführt, um die Installation elektronischer Überwachungseinheiten zu rechtfertigen? Die Argumentation für eine Videoüberwachung stützt sich üblicherweise auf zwei Thesen:
- Wenn öffentlicher Raum von Videokameras kontrolliert wird, erhöht sich das subjektive Sicherheitsgefühl der BürgerInnen. Sogenannte „Angsträume“ werden abgebaut.
- Potentielle Straftäter werden durch Videoüberwachung abgeschreckt. Die Kameras haben also eine potentiellen Straftaten vorbeugende, d.h. präventive Wirkung.
Beide Argumente werden für gewöhnlich mit der These unterfüttert, dass der „brave Bürger“ nichts zu verbergen habe, sich also von der permanenten Überwachung nicht gestört fühlen kann.
Was ist ein „Angstraum“?
Das kann doch nur ein Ort sein, an dem Menschen sich unsicher fühlen. Der vielleicht dunkel ist, vielleicht unüberschaubar, vielleicht einsam. Solange der „Angstraum“ in diesem Zustand bleibt, können auch Videokameras ihn nicht zu einem „Mutraum“ umwandeln. Wer nachts durch einen dunklen Wald geht, weiß damit umzugehen. Wer in der Innenstadt einen „dunklen Wald“ zulässt, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Soll die Videoüberwachung also für Versäumnisse der Stadtplanung herhalten? Das „subjektive Sicherheitsgefühl“ bleibt auch mit Kameras ein subjektives Gefühl. Objektive Sicherheit wird vorgetäuscht, Kameras greifen bei einer Straftat nicht ein. Im videoüberwachten Raum besteht die Gefahr, dass BürgerInnen wegen der vorgetäuschten Sicherheit davon absehen, in einer Notsituation zu helfen. Weil ja die Kameras da sind. Die keine Straftaten verhindern. Spätere Identifizierung mag der Strafverfolgung und Verbesserung der Aufklärungsquote dienlich sein, Verbrechensopfern wird so nicht geholfen.
Potentielle Straftäter lassen sich durch Videoüberwachung nicht von ihren Vorhaben abhalten.
Erfahrungen aus Staaten mit exzessivem Einsatz von Kameras (USA, Großbritannien) berichten von einer Verlagerung von Kriminalitätsschwerpunkten in nicht überwachte Gebiete. So finden Hauseinbrüche nicht mehr von der videoüberwachten Straßenseite aus statt, sondern durch den Garten. Die Diskussion um die Überwachung im Ravensberger Park hat nach Aussage des VHS-Leiters Dirk Ukena einen Rückzug der Drogenszene zur Folge. Wem das auf den ersten Blick als Erfolg erscheint, sollte sich fragen, wohin die „Szene“ aufgebrochen ist? Und wo dann die nächsten Kameras aufgebaut werden sollen? Innenminister Behrens kalkuliert die Abwanderung ein. Abwanderung in Wohngebiete, Geschäftsstrassen, Hinterhöfe? Wenn bestimmte Gebiete sicherer werden, werden andere dadurch unsicherer.
Folgt also dem Pilotprojekt die vollständige Ausspähung der Stadt?
Eine Vision, die auch beim „braven Bürger“ ein mulmiges Gefühl hinterlassen wird. Denn die Überwachungskamera ist anonym. Und sie hat kein Rotlicht, das anzeigt, ob jemand zuschaut oder nicht. Sie hat auch keinen Namen, ist kein Gegenüber. Die Beobachteten wissen nicht, ob zugeschaut wird, wer zuschaut, ob aufgezeichnet wird, wer sich die Aufzeichnungen anschaut. Anstelle der versprochenen Sicherheit entsteht also ein Höchstmaß an Unsicherheit. Ist es vielleicht mein Nachbar, der freundliche Polizeibeamte von nebenan, der im Moment Dienst vorm Monitor schiebt?
Permanente Überwachung bedeutet permanente Verhaltenskontrolle.
Zu den Auswirkungen einer jederzeit möglichen Aufzeichnung individuellen Verhaltens hat sich schon 1984 das Bundesverfassungsgericht geäußert: „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet und weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung der Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl.“ (BVfFG, NJW 1984, 422)
Im öffentlichen Raum stellt die Überwachung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieser Auffassung ist auch das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, das die Bestimmungen des Landespolizeigesetzes zu verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen auf Durchgangsstraßen als verfassungswidrig und nichtig erklärt hat. „Der Freiheitsanspruch des Einzelnen verlangt, dass er von polizeilichen Maßnahmen verschont bleibt, die nicht durch eine hinreichende Beziehung zwischen ihm und der Gefährdung eines zu schützenden Rechtsguts oder eine entsprechende Gefahrennähe legitimiert sind. Anderenfalls wird gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Verbot unnötiger Eingriffe verstoßen.“
Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit
Mit der Einführung der Videoüberwachung öffentlicher Räume werden BürgerInnen dazu gezwungen, die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des eigenen Verhaltens in Frage zu stellen, sich darüber Gedanken zu machen, ob Verhalten verdächtig macht oder die Unschuld beweist. Die grundsätzlich geltende Unschuldsvermutung seitens des Rechtsstaats wird de facto außer Kraft gesetzt. Jemand der nichts zu verbergen hat, darf nicht überwacht werden. Auch nicht als „Mitnahmeeffekt“. „Unauffälliges Verhalten“ wird Norm, Zivilcourage die Ausnahme.
Fazit
Die Problematik sogenannter „Angsträume“, wozu der Ravensberger Park stigmatisiert wird, lässt sich nicht mit technischen Mitteln lösen. Es ist ein soziales Problem. Gefragt sind also nach wie vor Konzepte, die sich um die Ursachen der Situation kümmern. Prävention definiert sich nicht über die Aufzeichnung begangener Straftaten, sondern über die Vermeidung möglicher Delikte. Kameras sollen über den Fetisch moderner Technik den Eindruck absoluter Sicherheit vermitteln, täuschen diese Sicherheit aber nur vor.
Alternativen zum Pilotprojekt lassen sich eine Menge finden. Hier einige Vorschläge:
- Einsatz von Polizeistreifen im „Angstraum“. Die körperliche Präsenz von Beamten beinhaltet die Möglichkeit zur Kommunikation, die ja bekannterweise dazu verhilft, Angst abzubauen. Die positive Bilanz der Stadtwache ist ein Beispiel. Zudem im Zweifelsfall ein direktes Eingreifen der Beamten sowohl hilfreich sein als auch Delikte verhindern kann. Prävention!
- Die Verhältnisse im Ravensberger Park von landschaftsgestalterischer Seite verbessern.
- Der nebulösen Formulierung „Kultur des Hinschauens“ einen Inhalt geben, nämlich Zivilcourage und Verantwortungsgefühl stärken.
Bielefeld ist eine der sichersten Großstädte in Nordrhein-Westfalen. Wir sollten „Angsträume“ nicht herbeireden, um eine Begründung für Überwachungstechniken zu finden. Wir brauchen ein solches Pilotprojekt nicht.
Falls dieses Pilotprojekt dennoch realisiert wird, werden wir dies als einen Nominierungsvorschlag für den BigBrotherAward ansehen. Diesen Negativpreis vergiben wir im April an an Firmen, Organisationen und Institutionen, die in besonderer Weise die Privatsphäre von Menschen verletzen.
Rena Tangens, padeluun, Karin Großmann, Jörg Baach, Walburga Wilder, Tom Budewig, Ariana Mirza, Christopher Creutzig, Anke Vogt, Corinna Luttmann, Justus Goldmann, Niels Heinemann, Arne Rüger, Carsten Flöthmann, Stefan Kurtz, Stefan Michel, Alexander Micus, Manuel Beckmann, Ingo Lütkebohle