Der Metro-Skandal
Metro ist nach eigenen Angaben einer der größten Handelskonzerne der Welt. In Deutschland gehören dazu große Ketten wie Media Markt, Saturn, real, extra, Praktiker und Galeria Kaufhof. Mit dieser Marktmacht versucht das Unternehmen, RFID flächendeckend einzuführen. Ein eigener Test-Supermarkt der Metro AG in Rheinberg bei Duisburg war das erste, was uns von Metros Aktivitäten ins Auge fiel. Was wir dort erlebten, ließ uns aufhorchen. Denn mit den Methoden, die bei der Einführung von RFID angewandt werden, hatten wir nicht gerechnet.
Auf dieser Seite finden Sie alle Hintergründe und Ereignisse im Zusammenhang mit dem Metro-Konzern. Überschreiben möchten wir das mit einem Zitat von Spiegel-Online:
Es ist ein ungleicher Kampf - eine Handvoll ehrenamtlich arbeitender Enthusiasten des FoeBuD gegen Milliardenschwere Konzerne - doch er zeigt Wirkung.
Aus gegebenem Anlass hier die Bitte: Unsere Arbeit ist komplett ehrenamtlich. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit für Ihre Privatsphäre mit einer Spende.
24. Oktober 2003: Der BigBrotherAward
Die Metro-Gruppe bekommt für den Feldversuch im Extra-Future-Store in Rheinberg von uns den Datenschutz-Negativpreis BigBrotherAward.
Mitte Januar 2004: Deutschland als leuchtendes Vorbild
Bei einer Fachtagung in New York wird der Future Store als DAS Beispiel für ein "erfolgreiches Test-Projekt" zur globalen Einführung der Schnüffelchips vorgestellt. "Die Deutschen sind technisch interessiert und aufgeschlossen und haben deshalb keine Berührungsängste mit RFID", heißt es dort.
31. Januar 2004: Wir besuchen den Future-Store – Der Deaktivator ist Augenwischerei!
Zusammen mit Katherine Albrecht von der Verbraucherschutzorganisation CASPIAN (Boston, USA) besuchen wir den Future-Store. Wir werden offiziell von Markt- und Marketing-Vertretern der Metro durch den Markt geführt und bekommen viel zum Thema RFID erklärt. [Fotogalerie]
Am Ende der Führung zeigen die Metro-Vertreter Katherine Albrecht und uns den sogenannten "Deaktivator", ein Gerät, das angeblich die Schnüffelchips in den Preisetiketten außer Kraft setzen soll. Als sie den Apparat betätigt, wird nur ein Teil der Informationen gelöscht (siehe Foto: Zahlenreihe oben) – der eigentlich "gefährliche" Teil, die eindeutig nur für diesen einen Schnüffelchip vergebene Nummer, ist nicht gelöscht worden (Foto: unten).
Deaktivator
"Wir können diese Nummer auch gar nicht löschen oder überschreiben.", erklärt ein Metro-Vertreter, "sie ist vom Hersteller vergeben. Aber diese Nummer ist auch mit keiner unserer Datenbanken vernetzt." Eines unserer Mitglieder fragt, wann denn diese Nummer vernetzt werde – die Metro-Vertreter geben keine Antwort.
"Wir haben hier ein echtes Problem. Diese Chips werden nicht zerstört, sie werden nur schlafen geschickt. Und man kann sie jederzeit wieder aufwecken", ist Katherine Albrecht überzeugt.
Der "Deaktivator" am Ladenausgang ist Augenwischerei. Wir wollen uns nicht auf Versprechungen verlassen, sondern eine technische Lösung, die das Ausspionieren der Kunden durch die RFID-Technologie verhindert!
Katherine Albrecht wird bei ihrem Besuch noch von einer anderen Beobachtung überrascht: "Die deutschen Kundinnen und Kunden wissen gar nicht, was dort im Future-Store wirklich passiert.", ist ihr Fazit. "Die Hinweise auf RFID-Etiketten im Future-Store sind nicht ausreichend – und über die Risiken für die Privatsphäre wird nirgendwo ein Wort verloren." Dabei wird der Future-Store von RFID-Lobbyisten international als "DER gelungene Feldversuch mit RFID" angeführt.
1. Februar 2004: Ein versteckter Chip in der Kundenkarte
"Die deutschen Kundinnen und Kunden sind Versuchskaninchen für die ganze Welt." Mit diesem Satz überrascht die Amerikanerin Katherine Albrecht die Besucher unserer PUBLIC DOMAIN im voll besetzten Bunker Ulmenwall. Die Augen der RFID-Verantwortlichen seien auf Deutschland gerichtet, weil man hier wenig Widerstand erwarte.
Während des weiteren Vortrags legen wir zufällig eine Kundenkarte des Metro-Future-Stores in Rheinberg auf unser RFID-Lesegerät. Und zu unserer Überraschung erscheint eine Identifikationsnummer. Die Kundenkarte enthält einen RFID-Chip!
Katherine Albrecht ist minutenlang sprachlos. Kein Händler weltweit hat bisher zugegeben, dass er seine Kundenkarten mit einem RFID-Chip ausgestattet hat. Denn dadurch sind die ausgelesenen Daten eindeutig mit einer Person, die Waren und Karte trägt, verknüpfbar. Es kann so zum Beispiel ausspioniert werden, wer, was, wann und wo gekauft oder auch nur in die Hand genommen hat, wer vor welchem Regal wie lange stehen geblieben ist und vieles mehr.
Mit dem Auslesen des Schnüffelchips in der Karte könnten Kunden (die Metro AG beteuert, dies nicht zu tun) schon beim Betreten des Ladens eindeutig identifiziert werden. Man könnte – theoretisch – bestimmte, individuell zugeschnittene Sonderangebote auf den Werbemonitoren einblenden oder kundenspezifische Sonderangebote auf den digitalen Preisschildern machen (Preisdiskriminierung) – oder natürlich Preise für bestimmte, unbeliebte Kunden verteuern.
Der gläserne Kunde, berührungslos per Funk ausgelesen? Technisch ist das mit RFID inzwischen möglich. Das Ausspionieren der Kundinnen und Kunden geht in eine neue Dimension.
Dies ist die Future-Store-Payback-Kundenkarte der Metro Group - Scan: FoeBuD e.V.
Nirgendwo im Laden oder in den Antragsformularen von Payback waren wir auf den Chip in der Kunden-Karte hingewiesen worden. Dabei betont die Metro-Gruppe immer wieder besonders ihre transparente Informationspolitik...
(Originalgröße als .jpg, Scan: FoeBuD e.V.)
Der Vollständigkeit halber: Neben den in dieser Broschüre erwähnten Stellen, an denen RFID im Future Store zum Einsatz kommt, wird im Pressepaper der Metro noch eine Stelle hinzugesetzt: Der Deaktivator, der den Schnüffelchips das Schnüffeln abgewöhnen soll. Der Hinweis auf den Chip in der Metro-Payback-Kundenkarte fehlt. Hier gerät ein Feldversuch außer Kontrolle!
2. Februar 2004: Metro lügt!
Am Montag Vormittag legen wir die Future-Store-Payback-Karte unter ein Röntgengerät.
Foto: FoeBuD e.V.
Eindeutig sind Schnüffelchip (rechts unten) und Antenne (die Streifen, die rechteckig um die Karte herumlaufen) zu erkennen. Und da ein Fernsehteam gleich zwei Stunden später das Bild vor einen Scheinwerfer gehalten und zerschmolzen hat, haben wir später noch ein Röntgenbild machen lassen. Auch hier gibt's beim Klick auf's Bild eine große Version.
Foto: FoeBuD e.V.
Aufklärung verlangt
Als das Röntgenbild vorliegt, ruft Katherine Albrecht beim Future-Store-Sprecher an und fragt, wo die Kunden über die Schnüffelchips in der Karte informiert werden. In den Unterlagen? Oder direkt am Regal? Man bittet uns um Geduld.
Später am Montag bekommen wir von Metro Fotos zugesandt, auf denen kleine Schildchen mit Hinweisen auf RFID in den Kundenkarten am DVD-Regal zu sehen sind.
Das DVD-Regal, Foto erhalten von der Metro AG am 2. Februar 2004, Foto: Metro AG, erhalten am 2. Februar 2004, Markierung von FoeBuD e.V. eingefügt
Was sie nicht ahnten: Wir hatten bei unserer Besichtigung am Samstag von einem Kind vor genau diesem Regal zufällig auch ein Foto gemacht und sind überrascht: Auf unserem Foto sind eben diese Etiketten noch nicht da.
Das DVD-Regal, aufgenommen vom FoeBuD e.V. am 31. Januar 2004 – Foto: FoeBuD e.V.
Die Metro-Vertreter haben also anscheinend erst auf unsere Nachfrage hin die Regale nachgerüstet und aktuell am Montag fotografiert. Den Text auf den Schildchen haben wir auf einem anderen Foto von der Metro (auch am Montag) erhalten.
Foto: Metro AG, erhalten am 2. Februar 2004
Wir haben am Samstag nur das linke Schild vorgefunden. Vergleichen Sie das Schriftbild: die vierte Zeile auf dem linken Schildchen enthält nur noch das Wort "versehen." Rechts ist die Zeile ganz gefüllt. Jetzt die Regal-Fotos: Die beiden Schildchen ganz links auf dem obren Metro-Foto haben eine lange vierte Zeile – dies sind die neu hinzugekommenen Hinweise auf den RFID-Chip in der Kundenkarte. Zum Vergleich noch einmal beide Bilder direkt übereinander:
oben: Metro 2. Februar 2004, unten: FoeBuD 31. Januar 2004
Die Stelle, an denen die Fotos gemacht wurden, ist offensichtlich nahezu identisch. Achten Sie auf die DVDs im Ständer: ganz links steht auf beiden Bildern noch der Film "Düstere Legenden", drei Plätze weiter der Film "K-19". Die DVDs dazwischen sind offensichtlich zwischen den beiden Foto-Zeitpunkten umgesteckt oder verkauft worden. Auf dem oberen Bild sind vier weiße Schildchen zu sehen. Auf dem unteren nur zwei, das rechte davon hellgrau.
Wir veröffentlichen die Fotos im Internet. Mehrere Journalisten fragen daraufhin bei der Metro nach. Dort heißt es, "diese Schildchen am DVD-Regal hingen bereits "seit ein paar Wochen" dort. Die Marktleitung versucht also, auch der Presse gegenüber die Brisanz zu verschleiern. Uns reicht es, mit diesem Tag starten wir unsere StopRFID-Kampagne.
27. Februar 2004: Metro zieht den Chip aus den Kundenkarten zurück
Einen Tag vor einer geplanten Demonstration vor dem Future-Store kündigt die Metro-Gruppe in einem Fax an uns an, den RFID-Chip aus den Kundenkarten zu entfernen und bereits ausgegebene Karten umzutauschen.
"Diese Maßnahme wird sie mehrere tausend Euro kosten.", wertet padeluun das Fax als vollen Erfolg der StopRFID-Kampagne. "Aber die Metro-Gruppe steht auch unter Druck. Immerhin haben wir es mit unserer Kritik bis in den DAX-Abschlussbericht und den ARD-Börsenbericht geschafft. Der Kurs der Metro-Aktien ist zeitweise ziemlich gefallen. Aber unsere Forderungen sind damit nur zum Teil erfüllt. Wir demonstrieren morgen trotzdem!"
28. Februar 2004: Wir demonstrieren in Rheinberg
Trotz Schneechaos in Nordrhein-Westfalen demonstrieren knapp 50 RFID-Gegnerinnen und Gegner in Rheinberg bei Duisburg. Wir fordern die Metro-Gruppe als Betreiber des Future-Store auf, den "Feldversuch RFID" auszusetzen, bis ein Gremium aus Daten-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschützern über die Gesellschaftsverträglichkeit der neuen Technologie entschieden hat.
Vom Bahnhof aus ziehen sie bei strahlendem Sonnenschein und Schnee auf den Straßen mit Schildern und einem Trauerkranz "Für die Privatsphäre" gut vier Kilometer durch Rheinbergs Innenstadt. Die Bürgerinnen und Bürger von Rheinberg bekommen Flugblätter überreicht und erkundigen sich interessiert bei den Demonstrierenden nach weiteren Informationen. Bislang sind sie über die Aktivitäten des "Future Store" in ihrer Nachbarschaft ja nur von den Ladenbetreibern selbst informiert worden. Jetzt erfahren sie teilweise erstaunt, dass nicht alles Gold ist, was dort glänzt. (Fotos zur Demo in Rheinberg am 28. Februar 2004)
Das Ziel der Demonstration ist die schmale Rasenfläche vor dem Future-Store Parkplatz. Hier gehen erst Fotografen und Kameraleute ihrer Arbeit nach, dann verlesen padeluun und Claudia Fischer vom FoeBuD e.V. die Kritik am RFID-Test im Future-Store und die Forderungen aus dem Demo-Aufruf. Auch hier treffen sie auf interessierte Kundinnen und Kunden. So mancher lässt das Einpacken seiner Wochenendeinkäufe in den Kofferraum ruhen und hört der Kundgebung zu.
"Die Demonstration war erfolgreich.", fasst padeluun den Tag zusammen. "Die Rheinberger Bürgerinnen und Bürger haben erfahren, welches Risiko sie mit den RFID, die sie im Future-Store bekommen, auf sich nehmen. Und wir müssen jetzt unsere nächsten Schritte planen."
Die Kunden-Karte mit RFID war bereits am Demonstrations-Samstag im Future-Store nicht mehr erhältlich.
8. April 2004: Die Karten sind ausgetauscht
Die Metro AG hat gut sechs Wochen nach ihrer Ankündigung tatsächlich die Kundenkarten mit RFID gegen neue ohne Schnüffelchip ausgetauscht. Nach eigenen Angaben waren bereits ca. 10.000 Stück im Umlauf. Die Kundinnen und Kunden haben die neue Karte bekommen, die mit dem guten alten Barcode funktioniert. Im Begleitschreiben zur neuen Karte heißt es: "Die heute im Extra-Future-Store Rheinberg verwendete RFID-Technologie ist für Sie vollkommen unbedenklich und verstößt in keiner Weise gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. (…) Um dennoch verschiedenen öffentlich gewordenen Vorbehalten gegenüber RFID-Chips in Kundenkarten zu begegnen, haben wir uns für einen Austausch der Extra-Future-Card entschieden."
Zusätzlich zum Austausch schreibt die Metro AG allen betroffenen Kundinnen und Kunden 50 Extra-Payback-Punkte gut (das entspricht 50 Cent – bei 10.000 Karten sind alleine das 5.000 Euro).
Unsere Interpretation: Nachdem namhafte Datenschutzbeauftragte angedeutet haben, dass der RFID in der Kundenkarte ohne ausreichende Information an die Kunden gegen Datenschutzgesetze verstoßen könnte, ist die Metro AG einem eventuellen Gesetzesverstoß zuvor gekommen. Und das ist ihnen die Kosten für den Austausch wert. Nicht zuletzt ein Erfolg der StopRFID-Kampagne!
Titelbild: FoeBuD e.V.