„Wir wollen keine Hurenscheine“
Am 1. Oktober demonstrierten Sexarbeiter.innen und Unterstützer.innen in Berlin vor dem Familienministerium mit anschließender Spontandemo zum Brandenburger Tor. 1000 Unterschriften von Sexarbeiter.innen, die ankündigten, sich nicht zu registrieren, wurden an das Familienministerium überreicht.
Die Regierung plant in ihrem neuen „Prostitutionsschutzgesetz“ die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter.innen massiv zu erschweren. Doch die Sexarbeiter.innen selbst kritisieren, dass sie nie gefragt wurden, was ihnen hilft. Und so wundert es wenige, dass die bisherigen Vorhaben der Regierung eher eine Entmündigung und Prekarisierung der Sexarbeiter.innen erwarten lassen. Und auch wir sind besorgt. Denn mit der geplanten Registrierungspflicht wird eine ganze Berufsgruppe in eine Kartei aufgenommen und unangemesser Überwachung unterzogen, die ihre Situation zusätzlich prekarisiert.
Zwangsouting
Sexarbeiter.innen sollen sich zukünftig registrieren lassen. Wo diese Daten überall landen, ist unklar, ebenso ab wann die Pflicht zur Registrierung überhaupt besteht. Klar ist: Auch, wer nur hin und wieder in diesem Gewerbe tätig ist, muss sich anmelden und zu einer jährlichen Pflichtuntersuchung gehen. Da Sexarbeit keine gesellschaftliche Anerkennung genießt, bedeutet dieses Zwangsouting für viele Sexarbeiterinnen ein großes Problem. Es gibt viele Gründe, weshalb ein solcher Beruf lieber nicht bekannt gegeben wird. Sei es, weil man Kinder hat, denen man ein normales Schulleben gönnt, oder weil man einen Berufswechsel nicht gefährden möchte. Die Registrierungspflicht erschwert nicht nur den Ausstieg aus der Sexarbeit, sondern bringt all die Menschen, die sich der Registrierung widersetzen in die prekäre Situation, dass sie erpressbar werden.
Entmündigung
Aber auch die Regelungen für Bordelle sollen verschäft werden. Auch das hat eher eine Prekarisierung der Sexarbeit zur Folge, da nur noch Großbordelle die Möglichkeit haben werden, diese Regeln zu befolgen. Selbständige Sexarbeiter.innen, die sich zusammentun, um nach ihren eigenen Regeln zu arbeiten und sich dafür Räume mieten, gelten auch als Bordell, verfügen jedoch nicht über die Mittel, die notwendige Juristerei zu stemmen. Ergebnis: Eigenregie ist nicht mehr. Sexarbeiter.innen werden noch abhängiger von Großbordellbetreibern und müssen sich an deren Regeln halten.
Grundrechte aller Frauen ausgehebelt
Auch die Sperrbezirke sollen ausgebaut werden, von daheim aus zu arbeiten, wird enorm erschwert. Wer in der eigenen Wohnung sexuelle Dienstleistungen anbietet, gilt direkt als Bordell und wird die entsprechenden Regeln befolgen müssen. Um illegale Wohnungsbordelle ausfindig zu machen, gerät sogar die Unverletzbarkeit der Wohnung in Gefahr. Allein der Verdacht soll ausreichen, dass die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl eine Wohnung betreten darf. Das gefährdet letztlich nicht nur die Frauen, die der Sexarbeit nachgehen, sondern alle anderen gleich mit. Denn es braucht nur einen Nachbarn irritieren, wenn eine Frau öfter mal die Partner wechselt, oder einen gekränkten Verehrer, der eine falsche Verdächtigung ausspricht, um die Grundrechte aller Frauen außer Kraft zu setzen. (Anmerkung: Prinzipiell sind davon auch Männer betroffen. Doch es ist evident, dass der Verdachtsmoment aufgrund gesellschaftlicher Rollenbilder Frauen erheblich häufiger treffen wird.) Wer weiß, wie großzügig die Polizei bei Zeiten mit dem Mittel „Gefahr in Verzug“ umgeht, kann sich vorstellen, wie dieses Mittel in der Praxis eingesetzt wird.
Weitere Informationen:
Protest unterzeichnen
Stellungnahme von Hydra e.V. zum neuen Prostitutionsschutzgesetz
http://menschenhandelheute.net/
http://www.vice.com/de/read/das-neue-prostitutionsgesetz-macht-alles-noch-schlimmer-473
Text: Leena Simon
Foto: Leena Simon CC BY SA 4.0