Veranstaltung: Daten im Gesundheitswesen

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie lädt ein zu einem Ratschlag zum Thema „Mein Körper gehört mir!?“:

  • Samstag, 14. November 2015 (11:00 bis 18:00 Uhr)
  • Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin

Programm

11:00 – 11:15
Begrüßung

11:15 – 12:00
„Big Data“ in der Medizin – Entwicklungen zur „Überwachungsmedizin“ – von der Selbstüberwachung und der Risikosteuerung im Gesundheitssystem (Über die Verwandlung der Patienten in Konsumenten)
Dr. Silja Samerski (Biologin und Soziologin des Gesundheitswesens)

12:15 – 13:00
Vom Ende der klassischen Medizin und den neuen Akteuren, die den Kranken als Ressource und Gesundheit als Ware betrachten.
Prof. Dr. Paul U. Unschuld (Autor des Buches: „Ware Gesundheit. Das Ende der Klassischen Medizin“)

13:00 – 14:00
Mittagspause

14:00 – 15:00
Gesundheitsforschung ohne Datenschutz: vom informed consent zum broad consent bis hin zur Aufgabe jeder Zustimmung zur Forschung mit den eigenen Daten – wohin geht die Entwicklung im Datenschutz?
Carolyn Eichler (Referentin für Wissenschaft beim Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit)
(Nach den Vorträgen besteht jeweils Zeit für Nachfragen und Diskussionen. Eine weiterführende Diskussion wird mit dem Podium möglich sein.)

15:00 – 16:30
Podiumsdiskussion: Wo liegen Chancen, die gegenwärtigen Entwicklungen zu beeinflussen? Sind Zugeständnisse notwendig, um einen Rest von Datenschutz zu gewährleisten? Welche Ansatzpunkte für bürgerrechtlichen Protest gibt es? Welche Entwicklungen sind zu befürchten? Wie soll die AG agieren?
Dr. Svante Gehring (Arzt), Wolfgang Linder (ehemaliger stellv. Datenschutzbeauftragter), Uta Wagenmann (Gen-ethisches Netzwerk); Moderation: Dr. Elke Steven

17:00 – 18:00
Allgemeine Fragen zur Arbeit des Komitees für Grundrechte und Demokratie (in Vorbereitung auf die Mitgliederversammlung)

Mein Körper gehört mir!?

Allüberall werden Daten gesammelt – und verkauft. „Big Data“ ist das aktuelle Thema. Menschen könnten all diese Daten nicht auswerten, aber Maschinen können es nach von Menschen festgelegten Algorithmen. Daten sollen genauso zur vorausschauend-verhindernden Verbrechensbekämpfung (prädiktives Vorgehen) dienen wie zur präventiven Erkennung von Krankheiten. Der ökonomisch-kapitalistischen Verwertung dienen sie sowieso.
Angesichts dieser Entwicklungen zerfließen die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und auf informationelle Selbstbestimmung zu vagen Begrifflichkeiten. Wie können wir diese Grundrechte noch fassen und sie angesichts der um sich greifenden Datensammelwut schützen?
Die Arbeitsgruppe Gesundheit, die sich im Herbst 2005 angesichts der drohenden Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gegründet hat, arbeitet nun sei 10 Jahren an diesen Themen. Die Möglichkeit, sensible Gesundheitsdaten auf von überall zugänglichen Servern zu speichern, hatte den ersten Ausschlag gegeben. Schnell wurde deutlich, dass es nicht nur um Fragen des Datenschutzes geht, sondern auch um den Umbau des Gesundheitssystems zu einem Kontrollsystem.

Sammlung von Gesundheitsdaten

Seit Anfang des Jahres 2015 ist der Druck zur Einführung der eGK, die bereits zum 1.1.2006 hätte eingeführt werden sollen, so groß geworden, dass viele Versicherte sie unter Protest und verbunden mit der Furcht vor den kommenden Nutzungsmöglichkeiten akzeptiert haben. Neue Protestformen gegen die Datensammlung sind notwendig geworden. Zugleich erschrecken die vielen Möglichkeiten der Sammlung von Gesundheitsdaten – Lifelogging, Fitness-Tracking –, wie auch die Sammlungen von Gesundheitsdaten für Forschungszwecke. Die AG „Gesundheit“ im Grundrechtekomitee fordert deshalb auch eine öffentliche Debatte über die Sammlung von Gesundheitsdaten und Bioproben für unbestimmte Forschungsprojekte durch den Verein „Nationale Kohorte“.
Datenschützer scheinen ratlos geworden zu sein und übernehmen immer wieder die Perspektive derer, die die Daten nutzen wollen. Diese argumentieren ja auch, sie bräuchten die Daten zum Wohle des Gemeinwesens. In der EU bleibt die Auseinandersetzung um eine neue Datenschutzgrundverordnung noch weitgehend den Fachleuten vorbehalten, auch wenn die Dokumente meist öffentlich zugänglich sind. Die NaKo sammelt seit letztem Jahr Gesundheitsdaten und sogar Bioproben für unbestimmte Forschungsprojekte. Diese Art von Vorratsdatenspeicherung soll auf Jahrzehnte angelegt sein.

Forschungsperspektiven

Mit der Art von Forschung, die aus „Big Data“ im Gesundheitsbereich resultiert, verändert sich die Perspektive auf Gesundheit. Der Begriff der „individualisierten Medizin“, der so schön klingt, weil er vorgibt, den persönlichen Bedarf zu berücksichtigen, muss kritisch hinterfragt werden. Neue Diagnoseinstrumente sollen ermöglichen, Potentiale für Krankheiten zu erkennen. Jeder steht ständig unter dem Verdacht, irgendwann einmal krank zu werden. Deshalb muss jeder – zum Nutzen der Pharmaindustrie – immer kleinteiliger überwacht werden. Zugleich wird jeder wieder selbst verantwortlich dafür gemacht, dass er gesund bleibt. Nur wer den Anforderungen der Prävention gerecht geworden ist, hat ein Anrecht auf solidarisch finanzierte Heilbehandlung. Überwachung wird zur selbstverständlichen Perspektive – individuell und gesellschaftlich.
Fragen nach der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für eine Gesundheit ermöglichende Gesellschaftsstruktur, wie auch Fragen nach dem Zusammenhang von Gesundheit mit der sozialen Stellung innerhalb der Gesellschaft geraten aus dem Blick. Jeder hat scheinbar nur eine Möglichkeit: Individuelle Prävention und Gesundheits„vorsorge“. So wie jeder seines Glückes Schmied sein soll.

Foto: opyh CC BY 2.0