EuGH-Urteil zum Recht auf Vergessenwerden

Im antiken Rom wurden einige wenige in Ungnade gefallene Prominente und Herrscher mit der „abolitio nominis“ oder „damnatio memoriae“ bestraft. Sie wurden aus dem öffentlichen Gedächtnis getilgt, Inschriften wurden entfernt, Statuen zerstört. Oft nur teilweise und symbolhaft, denn natürlich war allen Zeitgenossen und auch den Nachfahren klar, um wen es geht.

Zeitgenössische Öffentlichkeit

In der vergangenen Woche hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass auch in der Neuzeit manchmal Namen entfernt werden müssen aus unserer zeitgenössischen Öffentlichkeit: Google. Das Urteil des EuGH hat viele Menschen wachgerüttelt und zahlreiche Kommentare heraufbeschworen. Viele haben das Urteil begrüßt, aber es gibt ebenfalls zahlreiche Stimmen die nun den Untergang des Abendlandes herbeisinnieren. Von einem kaputten Internet ist die Rede, von Zensur, gar von Millionen von Löschanträgen und hunderten neuen Mitarbeitern, die Google allein dafür einstellen müsste.

Auch Google unterliegt europäischem Recht

Dabei hat der EuGH so viel Neues gar nicht festgestellt, sondern nur – wie es seine Aufgabe ist – bestehendes Recht geklärt. Und dieses Recht, die europäische Datenschutzrichtlinie, sieht ein Recht auf Vergessen vor. Wie übrigens auch die Datenschutzverordnung, die gerade neu verhandelt und von Deutschland leider ausgebremst wird.

Neu ist allerdings, dass Google Spanien jetzt als sogenannter Datenverarbeiter gilt. Bisher hat sich Google – und ganz ähnlich Facebook und andere große amerikanische Dienste – immer aus der Affäre gezogen und behauptet, die Niederlassungen in Europa würden keine Daten verarbeiten, sondern würden nur dem Marketing oder dem Werbeverkauf dienen. Der EuGH bewertet die Tätigkeit von Google anders: Wer hier Geschäfte macht und sich als Unternehmen an die 500 Millionen Europäerinnen und Europäer wendet, der unterliegt auch europäischem Recht. Das ist in dieser Klarheit neu. Dieser Grundsatz soll aber ebenfalls mit der Datenschutzreform gestärkt werden.

Früher war Vergessenwerden eine Strafe, heute ist es ein Recht

Die alten Römerinnen und Römer mussten für ihre Form der Löschung noch Münzen einziehen, wenn ein Kaiser in Ungnade gefallen war. Die Abbildungen der im ganzen römischen Imperium zirkulierenden Münzen waren so etwas wie die erste internationale Öffentlichkeit. Heute googlet jeder Personalreferent seine Bewerberinnen und jede flüchtige Kneipenbekanntschaft wird vor dem Wiedersehen ausführlich gestalkt. Google ist eine neue Öffentlichkeit geworden und macht selbst etwas Neues aus den Daten. Auch das hat der EuGH zum ersten Mal so festgestellt. Die Suchergebnisse von Google sind neu arrangiert, miteinander verknüpft und mittels Search Graph in Beziehung gesetzt. Im Juristeneuropäisch heißt das, Google „erhebt“, „speichert“, „verarbeitet“, „organisiert“ und „stellt Daten bereit“. Damit wird Google zum „Datenverarbeiter“, der nicht bloß Links sammelt und auflistet, sondern mit personenbezogenen Daten umgeht.

Und um nur diese personenbezogenen Daten geht es. Es werden keine lustigen Katzenvideos aus dem Internet verschwinden, genausowenig wie unliebsame Politikeraffären oder historische Dokumente verschwinden werden. Denn bei Personen der Zeitgeschichte gelten sowieso andere Regeln. Es ist – auch kulturell – ein großer Unterschied, ob ich als Journalist oder aus berechtigtem Interesse einer Person in Zeitungsarchiven hinterherrecherchiere, dabei Zeit und Geld investiere, um Dinge zu finden, oder ob ich einfach den Namen meines Nachbarn bei Google eintippe und herausfinde, dass er vor 20 Jahren mal in eine inzwischen beglichene Steueraffäre verwickelt war. Darauf müssen wir kulturell als Gesellschaft reagieren. Es geht übrigens auch nicht darum, was staatliche Stellen über mich wissen. Die können ohnehin Repressionen ganz anderer Art ausüben, wie der Geheimdienstskandal zeigt.

Wir bleiben dabei: Google muss zerschlagen werden!

Das kann allerdings noch nicht das Ende der Geschichte sein. Entflechtung ist hier das Wort der Stunde. Schon vor einem Jahr haben wir gefordert, dass Googles Monopol gebrochen werden muss. Sigmar Gabriel wiederholte nicht unlängst unsere Forderung nach Zerschlagung des Konzerns. Denn das Unternehmen ist längst viel mehr als eine Suchmaschine, es ist eine Werbeplattform mit ein wenig Suche und Youtube. Ein Open-Source-Index, auf den alle Suchmaschinen zugreifen könnten, auch und gerade Neubewerber am Markt, wäre ein europäisches IT-Projekt, das sich zu fördern lohnen würde. Denn schon jetzt bevorzugt Google die eigenen Ergebnisse – etwas, über das sich erstaunlich wenige aufregen, die jetzt von Zensur sprechen.

(Bild: Public Domain)