„Die größte Bedrohung seit dem Bürgerkrieg“ – NSA-Whistleblower über die Geheimdienste
Vergangene Woche hat die Bundestagsfraktion der Grünen ihre vierte netzpolitische Soirée gehalten. Zeitgleich mit dem NSA-Untersuchungsausschuss. Da dieser sehr viel länger als geplant tagte, fehlten einige Gäste. Spannend war die Diskussion trotzdem.
Eigentlich waren neben William Binney auch Thomas Drake und Jesselyn Radack angekündigt. Die beiden saßen aber bis nach Mitternacht sozusagen im Untersuchungsausschuss fest. Von dieser Sitzung gab es leider keinen Videostream, dafür aber einen grimmepreisverdächtigen Liveblog der Kollegen von Netzpolitik.
Die Grünen Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt eröffnete den Abend, an dem dann auch Jan-Philipp Albrecht und Georg Mascolo als Moderator eingesprungen waren. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club saß ebenfalls – neben Binney planmäßig – auf dem Podium.
Göring-Eckardt erinnerte an ihre eigene Ostvergangenheit und die von Angela Merkel. „Das Schweigen der Kanzlerin steht einer Demokratie 25 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht an“, so Göring-Eckardt wörtlich. Und das Schweigen wurde nur umso lauter, als einen Tag später auch noch die Spionagevorwürfe innerhalb des BND bekannt wurden...
William „Bill“ Binney sprach gewissermaßen als Insider. Lange vor Edward Snowden wurde er zum Whistleblower, nachdem er als technischer Leiter die Überwachungsprogramme der NSA mit aufgebaut hatte. Schon vor dem 11. September 2001 sei die NSA seiner Meinung nach „dysfunctional“, also funktionsgestört. Ob es eine Abhilfe sein könnte, wie Binney vorschlug, sich auf die fokussierte Überwachung Einzelner zu konzentrieren, oder ob es nicht vielmehr im Wesen der Geheimdienste liegt, alles wissen zu wollen, über alle – für diese Frage ist der ehemalige NSA-Mitarbeiter wohl die falsche Adresse.
Wir stehen an einem Wendepunkt
Sehr viel konsequenter war Constanze Kurz in ihren Statements. Leider sei es immer so, dass die Aufregung verpufft und so gut wie keine Änderungen nach sich zögen. Die Snowdenenthüllungen, die zum ersten Mal Beweise lieferten, müssten jetzt ein „Wendepunkt“ sein, sonst wäre alles Vergebens.
Auch Jan-Philip Albrecht hoffte, dass sich wirklich etwas im Umgang der Staaten mit ihren Geheimdiensten änderte. Und nicht noch mehr Zeit verloren ginge, wie nach dem Echelon-Skandal schon 15 Jahre verloren wurden. Vielmehr müssten jetzt Strafverfahren angestrengt werden, die Gesetze seien da, der Gesetzesbruch offenkundig. Lediglich die Regierungen seien ohnmächtig. Auch könnte man die Safe Harbor Entscheidung kündigen.
Ganz auf der praktischen Ebene, so Jan-Philip Albrecht, müsse offene Software gefördert werden. Es sei fast schon kriminell angesichts der aktuellen Situation, Microsoft Produkte in Behörden einzusetzen, da könne der Datenschutz überhaupt nicht überprüft werden.
Binney, der zuvor dem Untersuchungsausschuss sechs Stunden lang Rede und Antwort stand, setzte sich für die Idee einer echten Kontrolle ein, für die er technisches Know-How forderte. Weshalb also nicht die Geheimdienste von Hackern kontrollieren lassen, fragte er und erntete prompte Ablehnung der Hackerin Constanze Kurz. Vor Snowden, so die Sprecherin des CCC, hätte man darüber reden können. Mittlerweile seien die Geheimdienste nicht mehr kontrollierbar, sondern abzuschaffen. „Wir müssen klar und deutlich als Ziel formulieren, das nicht mehr zu finanzieren,“ so Kurz.
Das vollständige Video der Veranstaltung gibt es auf Grün-Digital.
(Bild: Dennis Romberg, cc-by)