Digitalcourage-Newsletter #30, Teil 2, Juli 2013
Stoppt der EuGH die Vorratsdatenspeicherung? Unser Bericht aus Luxemburg
Liebe Bürgerrechtsengagierte,
unsere Datenkrake „Otto“ durfte nicht mit hinein in den Europäischen Gerichtshof. Datenkraken werden beim EuGH offenbar als gefährlich wahrgenommen. Wir haben das mal als gutes Omen genommen. Denn dort wurde gestern die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in einer Anhörung geprüft. Rena Tangens war für uns vor Ort in Luxemburg und anschließend in den Tagesthemen.
Die Klägerinnen und Kläger
Die Anhörung dauerte fünf Stunden. Zunächst trugen die Anwälte der Kläger vor – Digital Rights aus Irland und AK-Vorratsdatenspeicherung Österreich. Sie legten überzeugend dar, dass die anlasslose Speicherung sämtlicher Kommunikationsdaten aller Bürger unsere Grundrechte verletzt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte 2010 das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Es hatte aber die Hintertür offen gelassen, dass sie unter bestimmten Bedingungen doch möglich sei – dabei müsse aber eine „Überwachungsgesamtrechnung“ – also von wie vielen Überwachungsmaßnahmen die Bürger betroffen sind – berücksichtigt werden. Klar ist: Diese Überwachungsgesamtrechung sagt bei dem, was wir heute wissen, noch viel deutlicher: Es darf keine Vorratsdatenspeicherung geben!
Vorratsdatenspeicherung verletzt die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger Europas – und zwar nicht erst durch unberechtigten Zugriff auf die Daten, sondern schon durch ihre Erhebung und Speicherung. Menschen, die wissen, dass alle Telefondaten gespeichert werden, werden berechtigterweise davor zurückschrecken, AIDS-Hilfe oder Telefonseelsorge zur Beratung anzurufen oder die Presse über einen Miss-Stand zu infomieren.
Die Überwachungsbefürworter
Dann hatten die Befürworter – Vertreter von EU-Kommission, EU-Parlament, dem Rat und der einzelnen Länder – das Wort. Neue Argumente waren nicht zu hören: Der Zweck heilige die Mittel und die Verletzung der Bürgerrechte durch die Bildung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen wurde einfach abgestritten.
Auch zur Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung konnte keiner überzeugende Beweise liefern. Bezeichnend war der Österreichische Vertreter, der zugeben musste, dass mit der Vorratsdatenspeicherung keine schweren Verbrechen aufgeklärt wurden, sondern die Daten zur Ermittlung bei Diebstahl- und Betrugsdelikten genutzt wurden.
Ein erschreckendes Detail aus der Anhörung wurde eher am Rande durch die Frage eines Richters enthüllt: Die auf Vorrat gehaltenen Daten werden zu einem Drittel außerhalb Europas gespeichert. Da kann von Datenschutz keine Rede mehr sein.
Die Richter fragten während der ganzen Verhandlung ungewöhnlich scharf nach. Einige der Befragten sind bei den kritischen Fragen ziemlich ins Schleudern gekommen. Sie wirkten zum Teil wie Jurastudenten in der Abschlussprüfung, die wissen, dass sie gerade was Falsches gesagt haben, und sich um Kopf und Kragen reden.
Wie geht's weiter?
Das Urteil des EuGH wird noch etwas auf sich warten lassen. Am 7. November wird der Schlussantrag veröffentlicht. Wir hoffen darauf, dass der EuGH die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aufhebt. Auch wenn diese Überwachungsmaßnahme eigentlich politisch gekippt werden müsste.
Denn die Skandale um Prism und Tempora zeigen, dass nur Daten, die gar nicht erst erhoben werden, sicher sind.
Wir brauchen Ihre Unterstützung!
Das Telefon steht bei uns nicht still, wir werden überschüttet mit Medienanfragen zum Thema Überwachung und Anfragen von ratsuchenden Bürgern, bereiten außerdem eine Demo vor. Gerade jetzt, da die Vorratsdatenspeicherung und die Überwachungsskandale brennen, brauchen wir Ihre Unterstützung mehr denn je.
250 neue Fördermitglieder braucht Digitalcourage bis zum Jahresende, damit wir weiter arbeiten können. 52 haben wir schon.
Die gestrige Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung hat gezeigt, dass wir Themen setzen und durch Hartnäckigkeit etwas erreichen können. Helfen Sie uns dabei.
Herzliche Grüße
//Rena Tangens, padeluun und Dennis Romberg
P.S.: Wir bleiben am Thema dran, auch wenn die Medienaufmerksamkeit verflogen ist. Helfen Sie uns, weiter hartnäckig zu sein. Werden Sie Fördermitglied.
(Foto: Fabian Kurz, cc-by-sa)